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Liebe

"Erst wenn ich mich selbst liebe, kann ich auch andere lieben",
lautet ein Satz aus der Psychotherapie-Szene, der auch dadurch nicht nützlicher wird, dass er weite Verbreitung gefunden hat.

Viel brauchbarer ist das KontrapositivKontrapositiv: Sprachlich umgekehrter aber logisch gleichwertiger Ausdruck.

Erstaunlich dabei, wie ein logisch äquivalenter Satz eine völlig andere Wirkung hat.
:
"Solange ich andere nicht lieben kann, liebe ich auch mich selbst nicht."

Als kleine Kinder lieben wir Mutter und Vater, und zwar, wie die Arbeit Bert HellingersBert Hellinger (1994): Ordnungen der Liebe. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag. gezeigt hat, bedingungslos. Diese ursprüngliche Bindung und Liebe wird später vielfach überlagert; aber sie besteht ein Leben lang und begründet eine unbewusste und ebenso bedingungslose Loyalität, die, solange sie unbewusst bleibt, das eigene Leben unterordnet und auch hinzugeben bereit ist.

Diese personale Bezogenheit und Liebe weitet sich und umfasst andere Mitglieder unserer Herkunftsfamilie, später Freunde, (Ehe-)Partner und eigene Kinder.

Schon in der Pubertät beginnt jedoch etwas hinzuzutreten, wenn auf einmal Menschen wichtig werden, die nicht 'schon immer' da waren, sondern erst im Lauf des Lebens erschienen sind: die peer-Gruppe. Vielleicht ist hier der Anfang eines Übergangs, der zur rein personalen eine sozusagen transpersonale Bezogenheit hinzufügt. Auf die Gruppe kann man nämlich nicht mit dem Finger zeigen und sagen 'Du bist es', denn die Gruppe ändert sich; manche kommen hinzu, manche gehen weg. So ist die Gruppe, die 'Gemeinde', wandelbar und in gewisser Weise unsterblich.

Es kommt hier nicht mehr nur drauf an, dass bestimmte, bereits bekannte Personen verfügbar sind, wenn es einem schlecht geht, sondern es kann nun mehr und mehr darauf vertraut werden, dass irgend jemand erscheinen wird, wenn man Hilfe nötig hat. Und auch man selbst ist nun für andere ein solcher Jemand. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nur noch flüchtige persönliche Beziehungen gibt, aber sie haben nicht mehr den Charakter der 'Ewigkeit', sondern man weiß um ihren Anfang und um ihr mögliches Ende.

So kann z.B. der Arzt helfen und trösten, auch wenn man ihn vorher noch nie gesehen hat, oder ein freundlicher Passant, der zufällig des Wegs kommt. (In der christlichen Metapher sind das die Engel, die im Unterschied zu den Nothelfern und Heiligen oft keine besondere Identität haben, und auch nicht beliebig verfügbar sind, sondern kommen und gehen).

Manche Menschen suchen bis weit ins Erwachsenenalter ausschließlich nach der personalen Bezogenheit. Sie sind enttäuscht, wenn Freunde nicht immer zur Verfügung stehen und fühlen sich dann verlassen, oder sie strengen sich besonders an, diese Freunde an sich zu binden und fühlen sich irgendwann 'ausgenutzt'. Ein 'Jemand' für andere zu sein, hat dann nur den Zweck, dafür zu bekommen, was man sucht: die personale Bezogenheit. Andere wieder nehmen Gott als den personalen Bezug. Er wird, sagen sie, immer zur Verfügung stehen. Er ist der Vater, der nie stirbt. Und je stärker das wird, desto mehr kehren sie sich ab von den Menschen, auf die man 'sich nicht verlassen kann'.

Die personale Liebe und Bezogenheit wird durch das Transpersonale ergänzt, aber nicht ersetzt. Sie wird daher weitergeführt, vor allem in Ehe und Partnerschaft. Deshalb hat es auch durchaus eine gewisse innere Folgerichtigkeit, dass die Ehe (wie auch die innige Freundschaft) nicht an bestimmte Ziele gebunden ist, sondern besteht 'bis dass der Tod uns scheidet', weil sie nämlich sonst endet, sobald das Ziel erreicht ist. (Oft endet sie natürlich trotzdem vorher, aber das ist eine andere Geschichte.)

Viele verwechseln Liebe mit Verliebtheit. Wenn dann die Verliebtheit aufhört, denken Sie, auch die Liebe hat aufgehört und fangen mit einem neuen Partner von vorn an. Die Liebe hat aber noch gar nicht angefangen. Die Verliebtheit ist wie der Anlasser am Auto: der kleine Motor, der den großen anwirft. Die Liebe beginnt, wenn die Projektionen, die das Verliebt-Sein kennzeichnen, zurückgezogen werden, man den anderen zu sehen beginnt, wie er ist und dem zustimmt.

Schließlich aber erwächst aus dem Erlebnis der Teilhabe eine Liebe, die das Große umfasst, in dem wir aufgehoben sind. Sie ist, um ein buddhistisches Gleichnis zu verwenden, die Liebe der Welle nicht zu anderen Wellen oder zu sich selber, sondern zum Meer, in dem sie alle enstehen und vergehen. Es ist eine Liebe, die das Gemeinsame im Blick hat ('Ich bin wie ihr und ihr seid wie ich'). Es ist nicht die Liebe zu meinem Ego, sondern sie schließt dieses Ego (und die narzisstische Liebe dazu) ein als ein allen Menschen Gemeinsames. Sie ist auch nicht die Liebe zu konkreten anderen Personen - zu den Eltern, zum Mann, zur Frau, zu den Kindern, den Freunden -, sondern schließt auch sie als Teilhabende ein. Man hat diese Liebe in der christlichen Tradition als Agape bezeichnet, oder als Liebe zu Gott.

Sie ist nicht permanent, sondern erlebbar in Momenten der Andacht; aber man kann sie nicht machen oder bewirken. Vielleicht ist ihre scheinbare Abwesenheit die Grundlage der Glaubenszweifel bei manchen, die sie kennen. Sie ist aber da, so wie die Teilhabe und die Seele da ist, auch wenn man sie nicht empfindet. Man hat sie nicht, sondern sie hat einen. Man erlangt sie nicht, sondern sie überkommt einen. Wir verfügen nicht über sie, sondern sie über uns. "Gefühle werden 'gehabt'; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe", schreibt Martin BuberBuber, Martin (1957): Ich und Du. In: Ders.: Das dialogische Prinzip. Gerlingen: Lambert Schneider, 1992..

Diese Liebe ist das Eingebettet-Sein in das, was ist. In ihr stehen wir nicht gegenüber; das Ego ist selbst eingebettet und ruht. Zur Ruhe kommt in diesen Momenten auch das Denken in Gegensätzen und das Handeln das darauf bezogen ist. Das bedeutet nicht, in eine Art fatalistische Untätigkeit zu verfallen oder dass es nicht darauf ankäme, was man tut. Aber das Handeln ist auf etwas anderes bezogen und entspringt einer anderen Quelle. "Ama et fac quod visLiebe und tue, was du (dann) willst.", sagte Augustinus.

Auch in der Psychotherapie entsteht eine andere Qualität, wenn diese Liebe des Gemeinsamen erfahrbar wird. Es wird z.B. für den Therapeuten viel leichter, den Patienten in der Therapie wirklich zu führen, denn es steht noch etwas anderes dahinter: die tiefere Gleichheit und Gemeinsamkeit. Oft beobachtet man, dass Therapeuten Schwierigkeiten damit haben, die Patienten einerseits symmetrisch als 'Partner' und andererseits komplementär als 'Patienten' zu nehmen. Das kommt daher, dass beides auf derselben Ebene angesiedelt wird. Es sind aber verschiedene Ebenen. Auch die Patienten können sich dann viel besser auf den Therapieprozess einlassen: sie spüren die 'Autorität' des Therapeuten, aber sie spüren dahinter auch die - wie es in der Gesprächstherapie genannt wird - 'unbedingte Wertschätzung', eben die Anerkennung der tiefen Gemeinsamkeit.

Die Liebe spielt noch in einem anderen therapeutischen Zusammenhang eine Rolle: In meiner gestalttherapeutischen Ausbildung lernten wir, bestimmte Gefühle in Ebenen anzuschauen, also etwa, dass unter bzw. hinter einer Angst eine Depression stehen kann und darunter wieder ein seelischer Schmerz. Meist hörten wir da mit dem Fragen auf und beschäftigten uns therapeutisch mit dem Schmerz, suchten nach Auslösern in der Kindheit und versuchten, sie zu bekämpfen und auszuschalten. Wir fragten nicht weiter: was ist unter dem Schmerz? Der erste, der das konsequent tat, war Bert Hellinger. Es zeigte sich dann, dass unter dem Schmerz so gut wie immer eine Liebenicht in dem eingeschränkten psychoanalytischen Sinne, etwa der ödipalen Liebe! ist, die sozusagen im Dunkeln bleibt und anerkannt - ans Licht gebracht - werden will.

"Love is a verb", Liebe ist ein Tätigkeitswort, sagte mein Lehrer.

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