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Teilhabe

Von Sigmund Freud gibt es den bekannten Ausspruch: "Wo Es war, soll Ich werden." Was aber, wenn Ich ist?

Eugen Herrigel berichtet in seinem wunderbaren Büchlein 'Zen in der Kunst des Bogenschießens(1948). Otto Wilhelm Barth Verlag, 22. Auflage, 1983 ' von drei Stadien: 1. 'Es schießt', d.h. ich habe keine Kontrolle. 2. 'Ich schieße': ich habe Kontrolle. 3. 'Es schießt': 'Ich' ist nicht mehr da.

Das Ego und das unterscheidende Bewusstsein legen uns nahe, uns selbst als eine Einheit zu betrachten, die aus Teilen zusammengesetzt ist, über die wir verfügen und bestimmen: Mein Leben, meine Geschichte, mein Körper, meine Seele. Dieses alles habe ich. Als Einheit aber bin ich von allem anderen abgetrennt und unterschieden.

Nehmen wir aber einmal an, wir sagten stattdessen:

'Es gibt ein Leben, das mich hat'

Und:

'Es gibt eine Geschichte, die mich hat.'

Und:

'Es gibt eine Seele, die mich hat.'

Einem solchen Leben, einer solchen Geschichte und einer solchen Seele kann man sich anders anvertrauen als wenn sie nur Teile meiner selbst sind. Denn sie sind das Große, an dem ich teilhabe. Meine Teile dienen mir, ich aber diene als Teil.

Das Leben ist dann nicht etwas, was mir zur Verfügung steht, sondern ich ihm. Ich lebe nicht 'mein' Leben, sondern das Leben lebt mich. Oder, wie es der spirituelle Lehrer Eckhart TolleZitat aus einem Internet-Clip (Youtube) einmal ausdrückte: "Life is the dancer, and you are the dance." Ein solches Leben kann man auch nicht verlieren, sondern nur sich selbst in ihm, d.h. verloren wird nur das Ego und die besondere biologische und psychische Form. Im Lichte dieser Teilhabe ist deshalb der Tod nicht das Gegenteil des Lebens, sondern nur das Gegenteil der Geburt. Die Welle kehrt in den Ozean zurück, aus dem sie kam.

Auch die Seele ist nicht ein Teil von mir sondern ich bin ein Teil von ihr; sie ist das Größere; durch sie bin ich mit den anderen Menschen verbunden, denn auch sie haben daran teil. In der Teilhabe und in der teilhabenden Liebe sehen wir in der Beziehung zu einem 'Du' auch das, wodurch wir verbunden sind, die Seele, und wir erkennen den anderen in dieser Hinsicht als wesentlich gleich, als gemeinsam teilhabend. (Das ist vielleicht auch die Bedeutung des Ausdrucks 'Himmelreich' im Matthäus-Evangelium). Die Seele, die in uns individuell wirkt, so dass wir annehmen, wir hätten sie, ist auch das, was uns hat. Sie kann sich verschließen bzw. vom Ego beschützend oder vereinnahmend 'überwuchert' werden, so dass ihre Wirkung nicht mehr spürbar ist. Dann sind wir abgetrennt und stehen völlig gegenüber. Das Ego als etwas, wodurch man fürs Leben 'gerüstet' ist, dient unter anderem dem Schutz, aber eine vollständige Rüstung oder Panzerung verhindert auch jede sonstige Berührung, jedes Empfinden der Teilhabe, und sie verursacht irgendwann Schmerzen, weil sie dem Wachstum keinen Raum lässt.

Als Teil bin ich aufgehoben und begründet, und die Erlösung ist das Eingebettet-Sein in das was ist, nicht die Befreiung davon.

(Im Deutschen gibt es den schönen Ausdruck 'sich fügen'. Darin wird das Sich-Einfügen in das, was ist, spürbar, sobald man die Ego-Hürden des 'Nachgebens', 'Unterwerfens', 'Besiegt-Werdens' hinter sich gelassen hat. Dann öffnet sich der größere Kontext, in dem es sich fügt, alles zusammen und 'Ich' auch.)

Die Entdeckung dieser fundamentalen Teilhabe ist ein Erlebnis, das tatsächlich einer Erleuchtung und Erlösung nahekommt. (Erstaunlich viele Menschen haben dieses Erlebnis gehabt. Andere haben das kindliche VertrauenJesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie [die Jünger] und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
(Matthäus 18,2-3)
, das die Grundlage der Teilhabe ist, nie ganz verloren und waren auch nie völlig mit ihrem Ego identifiziert.)
Der Zustand des 'Anders-Seins' oder des 'Anders-Sein-Müssens' hört auf; an seine Stelle tritt, wenn auch vielleicht nur ab und an: 'Ich bin wie Ihr, und Ihr seid wie ich'. Dieses Erlebnis ist ein spiritueller Vollzug. Niemand kann (unmittelbar) danach zur Tagesordnung übergehen und derselbe bleiben, der er vorher war. Dennoch bedarf es, wie im Abschnitt Glaube dargestellt, in den allermeisten Fällen einiger innerer Arbeit um die Wirkungen des Erlebnisses immer wieder zu vergegenwärtigen.

Die Teilhabe ist nicht etwas, was wir uns erst schaffen müssen. Wir könnten es auch gar nicht, denn die Teilhabe besteht vollkommen unabhängig von den Strebungen und Leistungen des Ego. Unser Tun hat keinen Einfluss auf sie.

(Der ReicheJesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme. (Matth.19,23-24) ist nicht deshalb vom Himmelreich ausgeschlossen, weil er etwas Falsches tut, sondern weil er sich nicht öffnen kann für das Erleben der Teilhabe. In diesem Lichte ist die 'protestantische Ethik'Max Weber (1905): Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus., nach der es Gott wohlgefällig ist, Reichtümer anzuhäufen, und dieser Erfolg des irdischen Tuns ein Hinweis auf die Gnade sei, eine sehr seltsame Angelegenheit. Genau so aber auch die Armutsgelübde, denn auch sie machen häufig das eigene gewollte Tun zur Voraussetzung für die Teilhabe. "Der Asket macht aus der Tugend eine Not", spottete Friedrich Nietzsche(1878-80): Menschliches, Allzumenschliches, 1. Buch, 2. Hauptstück, 76) .

Manchmal tun wir etwas, damit wir dazugehören und manchmal tun wir etwas, weil wir dazugehören. In bestimmten Kontexten wie z.B. dem Beruf muss ich etwas tun, damit ich dazugehöre; dadurch sind diese Bereiche als vom Ego bestimmt gekennzeichnet. Die Teilhabe aber besteht unabhängig vom Tun und unabhängig vom Ego: ich tue etwas, weil ich dazugehöre. (Das sogenannte Helfer-Syndrom besteht darin, dass ich helfe, damit mir geholfen werde. Eine bessere Art von Hilfe besteht darin, dass ich helfe, weil mir geholfen wurde.)

Im Erleben der Teilhabe ist Gnade, denn das, woran wir teilhaben, können wir nicht bewirken, sondern es wirkt auf uns. Die Gnade wird uns zuteil. Im Deutschen wird das Wort 'Gnade' für zwei verschiedene BegriffeIch danke Hunter Beaumont, der mich darauf aufmerksam machte. verwendet, die im Englischen 'mercy' und 'grace' heißen. 'Mercy' ist das Erbarmen, die Gnade, die uns von einer Autorität, etwa einem Herrscher, nach dessen Willen und Gestimmtheit zukommt, sei es als Erlass einer Strafe oder als Gunst. 'Grace' ist die Gnade im eigentlichen Sinne, die ich auch hier meine. Sie kommt nicht 'von außen', sondern aus einem inneren Vollzug, aus dem Glauben, dem Vertrauen, eben der Teilhabe. Sie gehört der Seele zu als dem Sein, von dem wir nicht getrennt sind, und nicht, wie 'mercy', dem Ego.

Aber auch unserem naturwissenschaftlich beobachtenden Bewusstsein erschließt sich ein Aspekt dieser Teilhabe, nämlich die Untrennbarkeit des Ganzen: Soweit wir wissen, gibt es ohne Gehirn kein Bewusstsein. Und sowohl die Quantentheorie als auch die thermodynamisch gleichgewichtsferne, dynamische Stabilisierung der Lebensvorgänge deuten darauf hin, dass wir es mit einem untrennbaren Ganzen zu tun haben:

Wir können das Bewusstsein nicht vom Hirn trennen.
Das Hirn nicht vom Körper.
Den Körper und das Leben nicht von der Welt.
- Und die Welt nicht vom Bewusstsein.

Bindung

Der Begriff 'Seele' spielt in der normalen akademischen Psychologie keine Rolle. Er wird dem religiösen und spirituellen Kontext zugewiesen. Weil wir uns aber nicht nur mit naturwissenschaftlichen, sondern auch mit spirtuellen Fragen beschäftigen, hat auch die Seele hier ihren Platz. Und es gibt gute Gründe, sie auch in die Psychologie wieder einzuführen.

In dem hier vorgestellten einfachen psychologischen Modell ist, wie bereits erwähnt, die Seele dasjenige Psychische, an dem wir teilhaben, mit dem wir geboren werden, das sich also nicht, wie das Ego, erst entwickelt, sondern schon besteht, wenn wir auf die Welt kommen.

Die Seele bewegt sich. Vielleicht sollten wir aber lieber sagen: wir bewegen uns relativ zu ihr. Wir sind ihr zu- oder von ihr abgewendet, näher oder ferner. Wir spüren diese Bewegung als ein Öffnen oder Schließen, als Berührbarkeit oder Verhärtung, als Bindung oder 'Beziehung'.

Betrachten wir diesen letzten Vorgang etwas genauer. Beziehung und BindungIch beziehe mich, was die Bindung als Seelenbewegung angeht, auf einen Vortrag von Hunter Beaumont: Vergebung und Dankbarkeit als seelische Bewegungen. Gehalten in München, März 2013. sind nicht dasselbe. Ich habe eine Beziehung zu meinem Steuerberater, einem Arbeitskollegen, oder einem Bekannten. Aber ich habe keine Bindung an sie. Umgekehrt habe ich eine Bindung an meine 'erste Liebe', obwohl ich keinerlei Beziehung mehr zu ihr habe. Säuglinge haben Bindungen (zuerst an die Mutter), aber sie haben im normalen Sinn des Wortes keine Beziehung zu ihr, denn in der Beziehung ist immer ein Ego-Anteil und Säuglinge haben kein Ego.

Sobald aber das Ego besteht, tritt es zur Bindung hinzu und wir haben dann zu den uns nahestehenden Menschen auch eine Beziehung. Manchmal, so könnte man etwa provokant sagen, besteht die Bindung trotz der Beziehung. In der Beziehung nämlich reagieren wir auf die Verstrickung des anderen in seine Geschichte und seine gewordene Eigenart - und auf unsere eigene. Diese werden oft 'problematisch' und wir stellen uns gegenüber, opponieren, wollen 'Recht haben' - Verhaltensweisen, die dem Ego zugehören und für seine Stärkung auch notwendig sind. Die Bindung aber besteht zum Wesen des anderen, nicht zu seiner Verstrickung. (In diesem Sinne ist Bert Hellingers Satz 'Eltern haben keine Schattenseiten' völlig richtig.) Häufig ist es dann gerade die Bindung, die uns davon abhält, solche schwierigen Beziehungen einfach abzubrechen, denn wir können wohl eine Beziehung willentlich beenden, nicht aber eine Bindung. Auf diese Weise führt dann die Bindung auch zur Ausbildung eines starken Ego.

Bindungen können den Tod überdauern. Sie bestehen oft auch lange nach dem Tod des geliebten Partners, Freundes oder (spirituellen) Lehrers fort. Die Beziehung aber hat aufgehört.

(Auch in der Psychotherapie entsteht manchmal eine Bindung des Patienten an den Therapeuten oder es werden frühere Bindungen auf ihn verlagert. Man nennt das letztere 'Übertragung' - oder, falls eine frühere Bindung andersherum vom Therapeuten auf den Patienten verlagert wird, 'Gegenübertragung'.)

Die Qualität der Bindungen ist unterschiedlich. Die Bindung des Säuglings an die Mutter ist nicht diesselbe wie die der Mutter an ihr Kind, des Mannes an seine Frau oder der Frau an ihren Mann. Etwas aber ist immer da: eine Liebe. Nicht eine Ego-Liebe, die besitzen oder 'haben' will, sondern eine, die teilhaben und 'sein' will.

'Ich bin'

Was ist angeschlossen an die Seele? In welcher Weise habe ich Teil an ihr? Teil hat nicht das Sein (im Sinne Heideggers), sondern ein Seiendes. Ich als ein Seiendes. Welches also von anderem Seienden verschieden ist.

Ich frage da zunächst nicht: wie ist dieses Seiende verschieden?
Also nicht: Ich bin so.
Sondern: Ich bin.

Insofern trägt meine persönliche Geschichte, mein so und so Geworden-Sein und mein Ego nichts bei. Als ein Seiendes in diesem Sinne bin ich vor dem Ego.

So ist vielleicht das 'Ich bin' die erste Unterscheidung, in der ich mich als Seiendes unter anderem Seienden wahrnehme. Die Wurzel aller weiterer Unterscheidung, die Wurzel des unterscheidenden Bewusstseins und damit auch des Ego, aber eben nicht das Ego selbst.

Das 'Ich bin' ist gleichermaßen das, was ich mit dem 'anderen' Seienden gemeinsam habe. Ich kann nämlich in demselben Sinne wahrnehmen 'Du bist'. Damit ist gleichzeitig die erste Unterscheidung und das Gemeinsame Wesen bezeichnet. (- Ist hier der Punkt, aus dem sowohl die Unterscheidungen als auch die Gemeinsamkeiten hervorgehen?)

Das 'Ich bin' ist auch, so kommt es mir vor, der fundamentale Akt der Selbstreferenz. Hier erkennt sich ein Seiendes selbst. Das Bewusstsein bezieht sich auf sich selbst. Nicht, wie es ist, sondern dass es ist. (Der eigentliche Schöpfungsakt, gewissermaßen).

In unserem 'So-Sein', also der Individualität jedes Einzelnen, seiner Jeweiligkeit, d.h. der durch genetische Ausstattung, persönliche Geschichte, Kultur, Denken und Erleben sich formenden Einzigartigkeit, sind wir realisierte Möglichkeiten eines gemeinsamen 'Raumes' physikalischer und psychologischer Parameter. Kosmologie sowie Quanten- und Teilchenphysik versuchen an den Enden einer Raumzeit-Skala den Zugang von der physikalischen Seite; Psychologie, Philosophie und die spirituellen Lehren versuchen, die Bewusstseinsaspekte dieses (nicht nur physikalischen) Raums, also die Möglichkeiten unseres Erlebens, Denkens und Verhaltens zu beschreiben. Es gibt dann keinen Anlass, irgendeine dieser Möglichkeiten etwa als 'pathologisch' zu bezeichnen - wir sagen ja auch nicht, dass Quasare pathologisch sind. Vielmehr sind unsere psychologischen und vor allem die phänomenologischen Forschungen wie erkundende Ausflüge in diesen Raum.
In ihm er-eignen wir uns und treten als einzigartig realisierte und realisierende Möglichkeiten in Kontakt zueinander und zur 'Welt'. Er selbst aber ist uns allen gemeinsam gegeben.

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