Garten

Therapie

Psychotherapy will not open the gates of heaven to let you in, but it may open the gates of hell to let you out.

So lautet ein amerikanischer SpruchPsychotherapie wird nicht das Himmelstor öffnen, um dich einzulassen, aber sie kann das Höllentor öffnen, um dich herauszulassen.. Er ist mein Lieblingssatz zur Psychotherapie.

Psychotherapie als ein Zweig der Heilkunde ist der Medizin, der Psychologie und den Naturwissenschaften verbunden und verpflichtet'Verpflichtet' heißt, dass ein Heilkundiger nichts tun darf, was wissenschaftlich eindeutig als falsch nachgewiesen ist oder auf einer solchen falschen Annahme beruht.. Darüber hinaus leitet sie in einem allgemeineren Sinn zur 'Bewusstseinsarbeit' an und steht damit auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur reflektierten Auseinandersetzung mit der kulturellen Seite unserer Existenz, also etwa mit Philosophie, Kunst und Religion.

Das Bewusstsein kann, wie sich immer mehr herausstellt, nicht auf die Physis reduziert und deshalb auch nicht in einem physischen Sinne 'repariert' oder weiterentwickelt werden. Manche glauben dennoch, dass Psychotherapie eines Tages durch Medikamente (oder Gentherapie oder vielleicht sogar bionische Implantate) völlig ersetzt werden kann. Wenn das aber geschähe, dann würde damit auch die Dimension des Wortes und der geistig-seelischen Begegnung aus der Heilkunde verschwinden und die Menschen würden eines Teils ihres Ureigensten beraubt. Medikamentöse (und andere medizinische) Heilverfahren leisten Hervorragendes. Aber eine menschliche Heilkunde darf darauf nicht beschränkt werden.
Mitgefühl, Impulskontrolle und Zufriedenheit -um nur drei Beispiele zu nennen- sind weder genetisch noch medikamentös herstellbar, und bis jetzt hat es auch noch niemand geschafft, sie auf einen Chip zu programmieren. Sie sind kulturelle Leistungen, die von kulturellen Instanzen, also auch von Psychotherapeuten, vermittelt werden.

In dem Maße, in dem die medizinische Heilkunde mehr und mehr auf eine industrialisierte Biotechnik reduziert wird und gleichzeitig die Säkularisierung und Ökonomisierung der Gesellschaft fortschreitet, entsteht eine kulturelle Lücke, in der wichtige Fragen unseres Mensch-Seins unbeantwortet bleiben.

Etwas überspitzt könnte man sagen, dass die neuzeitliche westliche Psychotherapie anfangs eine protestantisch-reformjüdische Angelegenheit war. In vielen anderen Kulturen gibt es sie in dieser Form nicht. Das Seelische wird dort von Schamanen, Priestern und Medizinmännern in spirituell-ritueller Weise und meist ungetrennt vom Körperlichen als eine Art umfassender systemischerIm Englischen wird bis heute unterschieden zwischen 'physician' und 'surgeon' also dem Arzt und dem Chirurgen (ursprünglich: Bader / Wundarzt). Heilkunde behandelt. In der katholischen Kirche sind auch bei uns noch Rudimente dieser ursprünglichen Verfasstheit vorhanden, etwa der Exorzismus oder die Beichte. Krankheit wurde häufig als ein von außen Kommendes primär Geistiges verstanden, beispielsweise als 'Besessenheits. dazu eine ausführliche psychiatriegeschichtliche Darstellung bei Ellenberger, H.: Die Entdeckung des Unbewussten. Zürich: Diogenes, 1985'. Mit der naturwissenschaftlichen Gegenüberstellung von Mensch und Welt in der Neuzeit änderte sich das nach und nach.

Heute haben wir mit der Verhaltenstherapie eine auf naturwissen­schaftlichen Grundlagen aufgebaute Psychotherapie. Aber jetzt beginnen wir zu merken, dass auch hier, wie in den Naturwissenschaften überhaupt, etwas fehlt. Die sukzessiven Weiterentwicklungen des ursprünglichen lerntheoretischen Modells - das alles nicht experimentell Beobachtbare in eine 'Black Box' verbannt hatte - schließen mehr und mehr auch die Qualitäten des subjektiven Erlebens wieder ein. In diesem Prozess werden neben Gefühlen und deren bewussten oder unbewussten erlebnismäßigen Hintergründen auch Konzepte aus den spirituellen Traditionen aufgegriffen, etwa Achtsamkeit und Meditation bzw. Kontemplation. Bei den Gefühlen handelt es sich nicht nur um die 'groben' Affekte - Wut, Angst, usw. - sondern zunehmend um das 'feine' Gefühl, wie man es etwa bei der Kunstbetrachtung hat oder beim feinen Nachspüren über eine 'Stimmigkeit' von etwas. (Ein schlechter Film unterscheidet sich von einem guten auch hinsichtlich der Grobheit des Affekts, den er erzeugt.) Hier kann sich die weitergehende Bewusstseinsarbeit öffnen für das Wahr- und Ernstnehmen von Qualitäten, die ich im Abschnitt 'Teilhabe' anzudeuten versucht habe und für das spürende Erkunden einer - um es mit Thomas von Aquin zu sagen - Essenz, die der Existenz zugrunde liegt. Ich bin überzeugt, dass sich die Psychotherapie im Laufe der Zeit noch stärker an das fehlende Spirituelle annähern wird - eine Annäherung, mit der sich im Übrigen ja auch C.G. Jung schon beschäftigt hat.

Von der spirituellen Seite her betrachtet würde Psychotherapie in der hinduistischen Tradition wohl am ehesten als der unzureichende Versuch gesehen werden, das Leben in der Illusion des MayaDie Erscheinungsform der Welt und Samsarader dauernde Zyklus von Leben und Tod in dieser Erscheinungsform weniger leidvoll und angenehmer zu machen, an der Illusion selbst aber nichts ändern zu können (man denkt an Theodor W. Adornos Diktum "es gibt kein richtiges Leben im falschen" - obwohl er es natürlich nicht in dieser Sichtweise gemeint hat).
Die starken psychologischen Elemente des Buddhismus hingegen haben zu einem großen Interesse mancher buddhistischer Lehrer an der Psychotherapie beigetragen (an erster Stelle zu nennen wären der Dalai Lama und Mathieu Ricard). Und es gibt eine neuere spirituelle Schule, Ridhwan, die explizit eine enge Verbindung von Psychologie und spiritueller Entwicklung betont.

Psychotherapie ist zunächst einmal nicht die Behandlung der Psyche, sondern die Behandlung von Krankheiten mit psychischen Mitteln. Darauf wies Sigmund Freud schon in einer seiner ersten veröffentlichten Arbeiten Freud, S. (1890): Psychische Behandlung (Seelenbehandlung). hin:

Man könnte [...] meinen, dass [unter Seelenbehandlung] verstanden wird: Behandlung der krankhaften Erscheinungen des Seelenlebens. Dies ist aber nicht die Bedeutung dieses Wortes. Psychische Behandlung will vielmehr besagen: Behandlung von der Seele aus.

Wie sich zeigt, ist eine solche Therapie jedoch hauptsächlich bei psychischen und psychisch mitverursachten Erkrankungen erfolgreich; darunter sind aber auch solche, die früher als rein körperlich betrachtet wurden.

Das griechische Wort 'therapeia' bedeutet ursprünglich 'Dienst, Dienstleistung'. Darunter fällt auch die Heilkunde, aber eben nicht nur sie. In einem allgemeineren Sinne ist 'Psychotherapie' also der 'Dienst an der Psycheebenfalls ein griechisches Wort in der ursprünglichen Bedeutung von '(Lebens-)Hauch', 'Atem', und auch 'Schmetterling'.', der anfangs vor allem auch durch Eltern und Lehrer vollzogen wird. Man kann diesen Dienst charakterisieren als Instruktion in Beziehung.

Instruktion ist die Unterweisung und Anleitung;
Beziehung ist der Rahmen einer persönlichen Begegnung und Bindung, ohne den eine solche Instruktion nicht möglich ist (sonst könnte sie ja auch durch Bücher etc. erfolgen, was aber erfahrungsgemäß nur zum Teil gelingt).

Manche Menschen benötigen nach ihrer Jugend keine weitere besondere Bewusstseinsarbeit. Sie kommen im Leben zurecht. Was noch fehlt, erwerben sie sozusagen en passant; sie sind zufrieden und stimmen dem Leben zu, so wie es sich eben ereignet. Andere brauchen - oder wünschen - aus den verschiedensten Gründen weiterhin Betreuung, zumindest in bestimmten Situationen.
Dazu gehören Menschen, deren frühe Beziehungen in entscheidender Weise defizitär waren, so dass auch die Instruktion unvollständig blieb, oder die im Laufe des Lebens in Situationen kommen, wo die erfahrenen Instruktionen und Ressourcen nicht mehr ausreichen.

Dazu gehören aber nicht zuletzt auch die Therapeuten selber.

Therapeuten sind schon von Berufs wegen angehalten, ihre Bewusstseinsarbeit fortzusetzen, eine Verpflichtung, die für viele von ihnen traditionell selbstverständlich ist und der sie durch dauerhafte Fortbildung und Selbsterfahrung nachkommen. (Anzumerken wäre dazu, dass bei dieser Fortbildung alle Aspekte der Psychotherapie in dem oben angedeuteten erweiterten Sinne berücksichtigt werden sollten und sie sich nicht ausschließlich im Rahmen der eigenen 'Theorie' oder Schulenzugehörigkeit abspielt.)

Das Psychotherapeutische, das sich in der Reihe der angeführten Patienten- und Klientengruppen mehr und mehr vom Heilkundlichen in ein allgemeineres Kulturelles - also die Bewusstseins- und Persönlichkeitsentwicklung - verschiebt, ist nicht einfach nur eine Anpassung an das Vorgegebene, sondern eine Entwicklung, die auch das Vorgegebene ändert. (Deshalb hat Psychotherapie hin und wieder etwas 'Subversives'.)

Manche, vor allem humanistische und psychodynamische Therapieschulen haben behauptet, wir seien alle von vornherein krank, verbogen durch Erziehung und Gesellschaft, gefallene Engel, die lebenslänglich an den Folgen zu knabbern haben und deshalb Psychotherapie brauchen. Eine solche Ansicht reduziert die Menschen auf ihre Krankheit und die Psychotherapie auf die Heilkunde. Sie kann deshalb nicht als Grundlage der kulturellen Verankerung der Psychotherapie dienen.

Psychotherapie, wie ich sie verstehein Anlehnung an ein Modell von Hunter Beaumont (mündl. Mitteilung) und betreibe, geht von lerntheoretisch- verhaltenstherapeutischen und entwicklungspsychologischen Grundlagen aus.
Von dieser Basis her erweitert und vertieft sich der Horizont: ins Blickfeld treten neben bewußten kognitiv-emotionalen Prozessen auch psychodynamisch herleitbare, zumeist unbewußte Konflikte, Muster (Schemata) und Lebensentwürfe, die teilweise aus Eigenheiten früher Objektbeziehungen, teilweise auch aus systemischen Verstrickungen heraus verstehbar sind.
Darin bereitet sich die Weitung in den überindividuellen Bereich eines kollektiven Bewußtseins und kollektiven Unbewußten vor, welches letztere sich als ein mit zunehmender Tiefe mehr und mehr Unveränderliches und 'Wesentliches' darstellt, so daß die Psychotherapie sich manchmal berührt mit spirituellem Erleben und tiefer persönlicher Wandlung.

Die Methoden sind zunächst naturwissenschaftlich; sie schreiben auch vor, an der Oberfläche zu beginnen und nicht in der Tiefe, denn man schaut als Therapeut, was dem Patienten genügt. Mit der Tiefe aber ändern sich auch die Methoden und es kommt ein hermeneutisches und phänomenologisches Vorgehen hinzu. Hier werden dann die Konzepte 'Pathologie', 'Störung' und 'Krankheit' immer weniger brauchbar und angemessen. Stattdessen erscheint die conditio humana und das 'Menschenmögliche', vor dem die Würdigung und Verbundenheit angemessener sind als die technischen Eingriffe.

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