Wenn etwas Komplexes etwas Einfacheres hervorbringt, nennen wir das Schöpfung. Wenn etwas Einfaches etwas Komplexeres hervorbringt, nennen wir es Entwicklung bzw. Evolution.
Die Evolutionstheorie ist die auf Charles DarwinCharles Darwin (1869): The Origin of Species (Dt.: Die Entstehung der Arten) zurückgehende Lehre von der Entstehung der Arten durch
1. zufällige Mutation und
2. natürliche Auslese (die nicht zufällig ist, sondern auf der Angepasstheit an eine Umwelt beruht).
Die Theorie ist, wie die meisten, nicht ganz unproblematisch. Zwei ihrer Probleme sind folgende:
Berichte über die experimentell beobachtete Entstehung einer neuen Spezies aus einer bereits existierenden (Makroevolution) haben, wenn sie überhaupt existieren, nicht die Aufmerksamkeit erregt, die ihnen als wissenschaftlicher Sensation zustünde. Es gibt sie also wahrscheinlich nicht. Die Entstehung neuer Varianten innerhalb einer Spezies (Mikroevolution) hingegen gehört seit Gregor Mendel zum wissenschaftlichen Allgemeingut.
Vielleicht ist unser Beobachtungszeitraum im Bereich der Makroevolution noch viel zu kurz, aber es erhebt sich dann die Frage, ob denn die Natur genügend Zeit gehabt haben kann, in 2 oder 3 Milliarden Jahren durch zufällige Variation eine so große Menge aufeinander aufbauender Spezies hervorzubringen. Der Physiker Hans-Peter Dürr hält es für "unmöglich, in drei Milliarden Jahren einen Menschen hinzuwürfeln".
Ein weiteres Problem der Makroevolution war schon Darwin selbst aufgefallen. Es geht dabei darum, ob komplexe und evolutionär vorteilhafte Entwicklungen, wie etwa ein Auge oder ein Flügel, in einem einzigen Schritt entstanden sein können. (Wir wissen heute, dass solche Strukturen genetisch multilokal sind, was die Frage noch verschärft.)
Andererseits müsste bei mehreren Entwicklungsschritten jede 'Zwischenstufe' für sich genommen bereits einen evolutionären Vorteil darstellen. Eine Aufgabe der empirischen Forschung besteht also darin, diejenigen Spezies ('missing links(Konrad Lorenz meinte einmal: "Der Übergang vom Affen zum Menschen sind wir.")') zu finden, bei denen solche 'Zwischenschritte' realisiert sind und eine verbesserte Anpassung an die Umwelt darstellen.
Im Großen und Ganzen ist die Evolutionstheorie dennoch sehr gut abgesichert. Sie sagt z.B. vorher, dass keine einzige der auch heute noch zahlreich neuentdeckten Spezies von dem Grundbauplan allen Lebens (etwa der DNS mit lediglich vier Basen, dem Adenosintriphosphat (ATP) als universellem Energiespeichermolekül, usw.) abweichen wird, obwohl es viele andere prinzipiell geeignete organische Moleküle dafür gäbe. Und wir haben bis heute eine solche Spezies auch nicht gefunden.
Die Evolutionstheorie kann selbstverständlich nicht deshalb falsch sein, weil sie der Bibel widerspricht. Und wenn die empirische Validierung noch zu wünschen übrig lassen sollte, so kann die Evolution nicht einfach durch Gott und die Schöpfungsgeschichte ersetzt werden, deren empirische Validierung auf keinen Fall besser ist.
In ihrer populären Form beinhaltet die Evolutionstheorie den Gedanken eines Fortschritts, in dem sich das Leben von einfachsten Formen zu immer komplexeren - impliziert wird dann: besseren - entwickelt. Schließlich entsteht so der Mensch, der als die vorläufig letzte, komplexeste und 'beste' Form gedacht wird. Damit wird auch hier, wie in der Schöpfung, eine Art Plan oder zumindest eine Richtung angenommen.
Deutlich wird das besonders an sozialdarwinistischen Konzepten und der falschen deutschen Übersetzung des Ausdrucks "survival of the fittest", der eben nicht ein 'Überleben des Stärkeren' bezeichnet, sondern ein Überleben des am besten an die vorbestehende Umwelt Angepassten"to fit" heißt "passen". Diese (biologische) Anpassung ist passiv; sie wird evolutionär geregelt, nicht aus eigener Anstrengung. Ein Löwe ist viel stärker als ein Hering, aber im Ozean nützt ihm das nichts. Und es geht dabei auch ausdrücklich nicht um das Überleben des "stärkeren" Einzelnen. Der Einzelne überlebt in keinem Fall. Er stirbt. Nur die Spezies überlebt für längere Zeit.
Die wissenschaftliche Evolutionstheorie sagt im Gegensatz dazu sehr klar, dass es eine solche Richtung - abgesehen von der Anpassung an Umwelten - nicht gibt. Es gibt keinen Fortschritt, sondern nur einen Prozess, bei dem ab und zu etwas sehr Komplexes entsteht, der aber im Grunde, wie es einmal jemand ausdrückte, "ganz langsam nirgendwohin" geht.Und wenn der Evolutionstheorie so viel Feindschaft entgegenschlug, weil man es nicht hinnehmen wollte, als Mensch vom 'Affen' abzustammen, so ist doch diese evolutionäre Indifferenz und Richtungslosigkeit eine noch viel größere 'Beleidigung' für unser kollektives Ego. Wir verdanken unsere Existenz nicht einmal den 'Affen', sondern einem blinden Spiel von Kräften, die einmal dies und einmal jenes hervorbringen und sich nirgends hin entwickeln.
Die Evolutionstheorie ist eine der ganz wenigen streng naturwissenschaftlichen Theorien in der Biologie. Als solche erkennt sie keinen übergeordneten Sinnzusammenhang an, und eben dies führt selbst bei manchen aufgeklärten Zeitgenossen zu vehementer Ablehnung. In der Physik nehmen viele Menschen das eher hin, weil sie denken, dass es sie nichts angeht. Wo aber ihre Existenz unmittelbar betroffen ist, regt sich zuweilen energischer Widerstand. Doch gerade hier, wo wir naturwissenschaftlich an die Grenze kommen und dann der Versuchung widerstehen, sie zu überschreiten, indem wir einen Sinn dazu erfinden, den wir erkennen könnten - gerade hier können wir demütig werden und uns für das Größere öffnen.
Leider tun das weder die Kämpfer gegen die Evolutionstheorie, noch diejenigen, die sie zur Grundlage eines 'wissenschaftlichen Atheismus' machen wollen. Zu letzteren gehört der englische Biologe Richard Dawkins. Sein atheistischer Kreuzzug nützt aber überhaupt nichts, weil er einfach nur die Rückseite der Medaille darstellt. Auf der Vorderseite haben die konservativen katholischen und evangelikalen Kirchenführer eingraviert: "Religion statt Wissenschaft" und er graviert auf die Rückseite: "Wissenschaft statt Religion", anstatt sich über die Medaille als Ganzes Gedanken zu machen, auf deren Rand nämlich steht: "Entweder Wissenschaft oder Religion".
Er sitzt also, ganz wie die rückständigen Kirchenoberen, der historischen Illusion auf, die beiden seien Konkurrenten, so dass die eine recht und die andere unrecht haben müsse. Kaum etwas hat die Religion so sehr als eine Ego-Veranstaltung charakterisiert und sie damit beschädigt, wie diese immer noch anhaltende Konkurrenz zur Wissenschaft. Aber auch die Wissenschaft beschädigt sich, wenn sie sich auf diese Konkurrenz einlässt. (Es würde genügen, was die theoretische Physikerin Lisa Randall über den Kreationismus und das 'intelligent design' sagte: "It's not science - that's all there is to it".)
In einem ähnlichen Sinne bemerkte der Philosoph Thomas Metzinger einmal, dass der Gegensatz zur Religion nicht Wissenschaft sei, sondern Spiritualität und Mystik. Die Ego-Haftigkeit der Religion begründet nämlich keinen Gegensatz zur Wissenschaft, sondern einen Gegensatz zum spirituellen Erleben, das aus der Religion in dem Maße verschwunden ist, in dem sie sich auf das Ego und die Konkurrenz zur Wissenschaft eingelassen hat.