1. Gehorsam:
Wir alle beginnen unser Leben in gewissem Sinne als Opfer: Wir sind klein, völlig machtlos und den Erwachsenen, die sich um uns kümmern, ausgeliefert. Unser Ego (und damit auch die Fähigkeit, der Welt gegenüber zu treten) existiert anfangs noch nicht, und unsere Liebe zu den Eltern ist bedingungslos, auch wenn sie uns nicht gut behandeln.
Ich habe einmal ein Photo gesehen, darauf war ein Polizist, der ein kleines Mädchen - ungefähr ein Jahr alt - auf dem Arm hielt. Ein wenig abseits stand die Mutter und starrte ins Leere. Das Kind hatte Verletzungen von Schlägen und ausgedrückten Zigaretten, und der Polizist hatte es ihr wohl deshalb weggenommen. Was aber tat das Kind? Es streckte seine Arme nach ihr aus.
Ein kleines Kind muss auch gehorchen, ob es will oder nicht. Es kann nicht für sich selbst sorgen. Der Satz dazu lautet:
2. Rebellion:
Aber wir werden größer, physisch und psychisch. Wir gewinnen an Kraft und entdecken, dass man uns jetzt nicht mehr so leicht zwingen kann. Wir probieren unsere neue Kraft aus, widersetzen uns, rebellieren. Wir bemerken, dass wir zwischen verschiedenen Handlungen wählen können. Unsere Liebe ist nicht mehr bedingungslos, sie ist jetzt auch abhängig davon, wie wir behandelt werden. Wir erstreben, wie NietzscheFriedrich Nietzsche (1883/85): Also sprach Zarathustra: Vom Wege des Schaffenden. es ausdrückte, 'frei von...' zu werden.
Jetzt dreht sich der eine Teil des Satzes um:
3. Kooperation:
Nicht alle gelangen über die Rebellion hinaus. Die meisten erkennen aber irgendwann, dass man sie nun tatsächlich nicht mehr zwingen kann, dass sie also, im Sinne Nietzschesa.a.O., nicht nur frei von, sondern auch 'frei zu ...' sind, frei zu kooperieren, sich selbstbestimmt zu beteiligen und gegebenenfalls sogar unterzuordnen.
Jetzt ändert sich der zweite Teil des Satzes: 'Ich muss nicht und ich will', oder herumgedreht:
Für die meisten Dinge des Alltags ist das brauchbar und genügend. Aber es kommt noch etwas. Man bemerkt vielleicht, dass es Bereiche gibt, die dem Wollen entzogen sind, an denen wir deshalb auch nicht kooperieren, sondern in einem anderen Sinne einfach teilhaben. Etwas Größeres tut sich auf; es ist ähnlich wie das Größere, das wir als ganz kleine Kinder empfanden, aber es ist nicht dasselbe ("Dein Wille geschehe"). Wenn wir damit in Einklang kommen, hört der Gegensatz von Müssen und Wollen auf. Wir sind, so wieder NietzscheFriedrich Nietzsche (1882): Die Fröhliche Wissenschaft, 4.Buch: Sanctus Januarius; Einleitung, 'frei in liebevollstem Muss', und es ändert sich der Satz noch einmal:
"Was ist der Unterschied zwischen einem Jungen und einem Mann?", fragte ich einmal und erhielt die Antwort: "Der Junge tut, wozu er Lust hat; der Mann tut, was nötig ist."
Und in einem meiner Lieblingsbücher, der 'Earthsea'-Tetralogie1. A Wizard of Earthsea (1968); 2. The Tombs of Atuan (1970); 3. The Farthest Shore (1972); 4. Tehanu (1990) von Ursula K. LeGuin, findet sich folgende Unterweisung des alten Zauberers an den jungen:
You thought, as a boy, that a mage is one who can do anything. So I thought once. So did we all. And the truth is that as a man's real power grows and his knowledge widens, ever the way he can follow grows narrower: until at last he chooses nothing but does only and wholly what he must do.