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Potential

Albert Einstein, dem man, seit er tot und damit noch geduldiger als Papier ist, zur Einforderung wissenschaftlichen Respekts allen möglichen Unsinn als Zitat unterschiebt, soll einmal gesagt haben, dass Menschen nur 10% ihres geistigen Potentials benützen.

Auf einem Prospekt für ein esoterisch-psychologisches Seminar las ich: "development beyond the human potential".

Viele humanistische und esoterische Therapietheorien huldigen der Vorstellung, dass wir hinter unseren Potentialen zurückbleiben und es also in intellektueller, physischer, emotionaler und noch anderer Hinsicht darauf ankomme, diese Potentiale zu erschließen und, wie im oben zitierten Prospekt, vielleicht sogar darüber hinaus (!) zu gehen.

Postuliert wird ein sozusagen nach oben offenes Modell, in dem wir umso besser 'dran' sind, je mehr Potential wir verwirklicht haben.

Das ist ein seltsames Modell; es ist die Vorstellung einer grundsätzlichen Mangelhaftigkeit (Erbsünde, in gewisser Weise), die es -getreu der protestantischen EthikMax Weber (1905): Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus. Weinheim: Beltz, 1993.- durch fleißiges Bemühen, durchaus auch mit therapeutischer Unterstützung, letztendlich aber durch eigenes Bewirken ('the pursuit of happiness'Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1776.), zu beheben gilt, damit unser Leben 'gelingen' kann.

Und während es sicher so ist, dass durch Heilbehandlung manchen Mängeln ebenso abgeholfen wird wie durch planvolle Tätigkeit, Förderung und normale Entwicklungsprozesse, ist die Ausschöpfung unerkannter Potentiale zur Erlangung der Glückseligkeit ein Prozess, dem es schon anzusehen ist, dass man damit nicht zu Ende kommen wird und also ewig unerlöst bleibt.

Diese Potentiale sind nämlich als Fähigkeiten und als Erweiterungen des 'Machbaren' dem Ego untergeordnet und werden von ihm angestrebt. Es ist fast wie die Frage: "Was muss 'ich' machen, damit 'ich' erlöst werde?" So als könnte sich das Ego selbst überwinden, indem es sozusagen kontrolliert die Kontrolle aufgibt. Das geht aber nicht. Vielmehr verstellt die Jagd nach den Potentialen den Blick für das, was ist, und negiert die Möglichkeit, dass das Vorhandene ausreicht und gerade in der Zustimmung zu einer bestehenden Beschränkung ein spirituelles Potential liegt.

Einmal sagte mein Lehrer: "Einige Beschränkungen und Belastungen in deiner Psyche wirst du niemals ändern oder abstellen können. Du musst sie schultern. Deine Kraft und deine Würde wird daher kommen, dass du das tust."

Die spirituelle Wandlung, das Erleben des Eingebettet-Seins in das Größere, wird eher von den Beschränkungen als von den Fähigkeiten gefördert. Die Hoffnung, dass 'ich' eines Tages ein Leben 'führen' werde, wird ersetzt durch das Vertrauen, dass ich durch das Leben geführt werde.

"A man's gotta know his limitations", sagte der amerikanische Philosoph Clint Eastwoodin dem Film 'Dirty Harry'.

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