Einen Gedanken Hans-Peter Dürrs aufgreifend können wir eine Art Systemhierarchie erstellen, in der - physikalisch und logisch betrachtet - das Ökosystem, also die Natur und unsere Lebenswelt, an oberster Stelle steht. Darin ist als ein Teilsystem die menschliche Gesellschaft in ihren verschiedenen Ausprägungen enthalten. Das Überleben der Menschen ist abhängig von Funktionen des sie enthaltenden Ökosystems. Eine Teilmenge der Gesellschaft wiederum ist ihr ökonomisches System, das von der Existenz und dem Funktionieren dieser Gesellschaft abhängt - und damit selbstverständlich auch vom umfassenden Ökosystem. Die in diesen Systemen wirksamen Prinzipien sind die integrierte Differenzierung und die Kooperation, d.h. die Zusammenarbeit der Teile aufgrund ihrer auf die Gesamtheit bezogenen Differenzierung und Unterschiedlichkeit.
Seit der Neuzeit hat unsere 'Beherrschung' der Natur im griechisch-christlich-jüdischen Einflussbereich gewaltige Fortschritte gemacht. Damit begann sich diese Hierarchie umzudrehen und wir sahen in der Natur mehr und mehr ein uns untergeordnetes System ('Machet euch die Erde untertan'). In den letzten hundert Jahren gewann dann die Ökonomie - hauptsächlich in Form der Finanzindustrie und der sogenannten 'Märkte' - dermaßen an Einfluss, dass sie sich an die Spitze der Hierarchie stellte und sich Gesellschaft und Natur einverleibte. Das Funktionieren unserer Gesellschaft und der Lebensumwelt wird nun von ökonomischen Faktoren bestimmt, die diese übergeordneten Systeme nicht mehr im Blick haben.
Wir behaupten zwar immer noch, dass die Ökonomie den Menschen dienen soll, aber wir verhalten uns sehr oft nicht so. Es ist auch leicht zu sehen, dass die Natur ohne uns gut zurecht kommt, wir aber nicht ohne sie. Dennoch verhalten wir uns, als wäre es umgekehrt. Viele tausend Jahre lang betrachteten wir die Sonne als Gottheit, die uns aus ihrem Überfluss Leben und Energie spendet. Sie und die Erde waren die Eltern, wir die Kinder. Wir dankten für die Gaben ('Erntedank') und hatten tatsächlich den Eindruck, dass dieser Quell nie versiegen würde. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Neuzeit brachten aber neben der Beherrschung der Natur auch Einblick in ihre Endlichkeit. Und während wir uns von der Verehrung der Natur und der Anerkennung des Größeren abwandten, behielten wir doch das kindliche Bild vom nimmer endenden Gabenstrom, den wir - inzwischen so erfindungs- wie zahlreich geworden - durch industrielle Verfahren auch noch gewaltig zu beschleunigen lernten. Ein Beispiel unseres diesbezüglichen Geisteszustands sind diejenigen Wissenschaftler, die sich eher noch darüber Gedanken machen, wie es möglich wäre, auf einen anderen Planeten auszuweichen, als den bestehenden vor dem Kollaps zu bewahren.
In ganz derselben Weise hat sich mittlerweile die Ökonomie an die Spitze der Hierarchie gesetzt. Was wir wahrnehmen, ist, dass Staaten und Gesellschaften von ihr abhängen, aber kaum noch, dass sie ihrerseits natürlich in erster Linie von den Menschen und den Gesellschaften abhängt. Es ist, als sähen wir, dass sich Länder in Banken, aber nicht, dass sich Banken in Ländern befinden. "Kapitalismus", sagte der weißgott nicht antikapitalistische Ökonom John Maynard Keynes"Capitalism is the astounding belief that the nastiest of people for the nastiest of motives will somehow work for the benefit of all., "ist der erstaunliche Glaube, dass die fiesesten Menschen aus den fiesesten Motiven doch irgendwie für das Allgemeinwohl arbeiten".
Die Systemumkehr wird aber nicht funktionieren. Man kann das sowohl mathematisch als auch durch Beobachtung leicht zeigen. Wenn sich beispielsweise bestimmte Körperzellen der Ressourcen des ganzen Körpers zur eigenen ungezügelten Vermehrung bedienen, nennt man das Krebs. Er führt zum Tod des Organismus, denn diese Ressourcen sind endlich. Wenn die Ökonomie sich die Ressourcen der gesamten Gesellschaft zur eigenen Vermehrung unterordnet, wird diese Gesellschaft untergehen. Und wenn die Menschen überlebenswichtige Ressourcen des Ökosystems erschöpfen, wird es irgendwann in einen Zustand überführt, der mit der Existenz des Menschen nicht mehr vereinbar ist.
Warum verhalten wir uns so? Im Zuge der zunehmenden Individualisierung der Menschen ist uns in vieler Weise das Gefühl der Zugehörigkeit und der Teilhabe abhanden gekommen. Unser (kollektives) Ego hat sich zu einem Punkt entwickelt, wo es sich vom Diener zum Herrscher aufschwingt. Dieses Ego schuldet dem Übergeordneten nichts, sondern erhebt Anspruch auf dessen uneingeschränkte Dienste. Wissenschaft und Technologie werden dann zur Durchsetzung des Anspruchs betrieben, der Natur ihre Geheimnisse zu unserem Nutzen zu entreißen, nicht aber, um damit auch unsere Teilhabe zu begründen (wie es z.B. Kepler noch tat).
Wir verhalten uns immer noch wie Kinder, aber nicht wie dankbare Kinder, sondern - schon etwas größer geworden - wie solche, die Anspruch erheben ohne damit auch eine Verpflichtung anzuerkennen. Gleichzeitig sind wir technologisch weit über dieses Stadium hinausgewachsen. In dieser Diskrepanz liegt die Gefahr.
"Auf einmal wurde mir klar, dass diese winzige blaue Erbse die Erde war. Ich hob meinen Daumen, machte ein Auge zu, und mein Daumen verdeckte sie völlig. Ich fühlte mich nicht wie ein Riese. Ich fühlte mich sehr, sehr klein." (Neil Armstrong)
"Wenn jemand vor dem Flug gefragt hätte: 'Wird es dich überwältigen, wenn du die Erde vom Mond aus siehst?', dann hätte ich gesagt: 'Nein, überhaupt nicht.' Aber als ich auf dem Mond stand und zum ersten Mal zurücksah zur Erde, weinte ich." (Alan Shepard)
Die Erde von außen als Ganzes zu sehen, war ein viel größerer Schritt für die Menschheit als das Betreten des Mondes. Zum ersten Mal sahen wir als Beobachter von außen auf das, von wo wir sonst aufschauen. Der Teil sah das Ganze. Unser Alltag, unsere Streitigkeiten, unser ganzes Leben findet unter den Wolken, unter der Hülle der Atmosphäre statt. Nun sahen wir es zum ersten Mal von der anderen Seite. Die Frage der Teilhabe (being apart - being a part) hatte eine sichtbare Antwort. Wir haben diese Antwort nicht zur Kenntnis genommen, sondern den Mondflug als Zeugnis unserer endgültigen Naturbeherrschung missverstanden. Die spirituelle Bewegung der Umfassung, der Demut und des andächtigen Schauens, die in den zitierten Zeugnissen der Astronauten deutlich wird, haben nur wenige vollzogen. In dieser Bewegung liegt das Rettende. - Vielleicht aber muss, wie es im Falle der Individuen häufig ist, auch hier vor dem Not-Wendigen die Not kommen.