Das griechische Wort 'Kosmos' heißt auf deutsch 'Ordnung'. Und es war das Anliegen Johannes Keplers (1571-1630), die Harmonie des Himmels und der Welt ('Harmonices Mundi') mathematisch nachzuvollziehen und der Erhabenheit der göttlichen Schöpfung auch dadurch zu huldigen. Er bediente sich dazu nur der Beobachtung (nicht einmal seiner eigenen, sondern er 'borgte' die Daten seines Lehrers Tycho Brahe).
Aber schon Keplers Zeitgenossen Galileo Galilei (1564-1642) und Francis Bacon (1561-1626) gingen einen großen Schritt weiter: sie beschränkten sich nicht auf die passive Beobachtung, sondern griffen aktiv ein und erzeugten Beobachtungsdaten, indem sie systematische Experimente forderten und durchführten.
Damit begann sich unser Weltbild grundlegend zu ändern. Nicht die Naturgesetze bestimmen, was geschieht, sondern was geschieht, bestimmt die Naturgesetze. Insofern aber diese Gesetze zu Voraussagen des Geschehens benutzt werden, erscheint es uns, als bestimmten sie es auch, und wir nehmen dieselbe Perspektive ein wie Kepler, der das Geschehen in der Natur auf die Naturgesetze zurückführen wollte. Diese sind dann absolut, ewig, wahr, wie die Platonischen Ideen oder die Gesetze der göttlichen Schöpfung. Und weil sie die Phänomene begründen, können sie auch zu deren Erklärung verwendet werden.
Wenn aber das Geschehen die Gesetze bestimmt, müssen wir vorsichtiger sein. Die Gesetze erklären das Geschehen nicht, sondern sie beschreiben es.
In seinem epochalen Unternehmen, die Mechanik der Welt zu ergründen, stieß Isaac Newton auf das Problem der Gravitation, deren Wirkungen er zwar in seinem Gravitationsgesetz genau beschreiben konnte, die aber als - in einem mechanischen Weltbild völlig unerklärliche - Fernwirkung nicht verständlich oder erklärbar war.
Ausgerechnet bei Newton trat also eine wesentliche Unerkennbarkeit und Unanschaulichkeit der Welt zutage. Hier spielt auch die zunehmende Mathematisierung der Naturwissenschaft, insbesondere der Physik, eine Rolle: wir verstehen vielleicht die Mathematik, aber mehr und mehr scheint im Gegenzug die Welt des Größten ( Kosmologie) und des Kleinsten ( Quantenphysik) unanschaulich und damit in gewissem Sinne unerkennbar zu werden.
Zu Anfang des 20.Jahrhunderts, als die seit Newton größten Umwälzungen im Gebäude der Physik stattfanden, gab es auch in anderen kulturellen und künstlerischen Bereichen solche Entwicklungen (wie etwa Jürgen Buschein seinem Nachwort zu dem Recam-Bändchen mit Aufsätzen Werner Heisenbergs ausführt): in der Musik die Atonalität der Zwölfton-Reihe; in der bildenden Kunst Kubismus, Dadaismus, etc.; und in der Philosophie die Phänomenologie und vor allem die Sprachphilosophie, in der sich der Übergang von der Betrachtung der Welt auf die Betrachtung der Zeichen besonders deutlich zeigte.
Gleichwohl gingen wir in gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch einen Schritt weiter, denn nun lenken wir die Naturprozesse nicht nur durch unser Eingreifen, sondern wir erzeugen sie selbst, beispielsweise in der Genforschung, in der Künstlichen Intelligenz und dem Bereich der Virtualität und Simulation (etwa die virtuell-neuronalen Netzwerke und die zellulären Automaten). Selbst in der Mathematik erzeugen wir Prozesse und 'Komplexitäten', die wirklich schöpferisch und nicht nur beschreibend, erklärend oder vorausberechnend sind. Ein Beispiel sind die sogenannten Fraktales. z.B. Benoit Mandelbrot (1982): The Fractal Geometry of Nature. NY: W.H.Freeman. (Dt.: Die fraktale Geometrie der Natur. Basel: Birkhäuser, 1987), die uns unter anderem erlauben, Wachstums- und Entwicklungsprozesse, beispielsweise des abgebildeten 'fraktalen Farnblatts', nachzubilden und zu erschaffen.
Das geht weit über die Herstellung von Werkzeugen hinaus, seien es nun Faustkeile oder Computer. Wir erschaffen - aus den Zeichen - buchstäblich wieder Welten, und zwar nicht in unserer Phantasie, sondern tatsächlich 'außen', in einer Wirklichkeitsebene.
Die Physik ist die fundamentale Naturwissenschaft. Sie hat es in grundlegender Weise mit Messbarem und Gegenständlichem zu tun. Die Grundannahme ist, dass es 'Dinge' gibt, die sich aus 'Substanz' zusammensetzen und 'Eigenschaften' haben. (Diese Annahme spiegelt sich schon in der Struktur der indoeuropäischen Sprachen.) Ferner, dass wir diesen 'Dingen' als unabhängige Beobachter gegenübertreten können. Dabei sollen außerdem die Annahmen der Kausalität, Lokalität und Objektivität gelten. Es wird also angenommen, dass die Welt sich als ein Geflecht von Ursachen und Wirkungen verstehen lässt, wobei es keine Wirkung ohne Ursache geben soll. Weiter wird zunächst vorausgesetzt, dass diese Wirkungen lokal sind, d.h. sie müssen in bestimmbarer Weise aus der Ursache entstehen. Und drittens müssen die Ursachen und Wirkungen objektiv sein, also wenigstens prinzipiell von allen Beobachtern gleichermaßen festgestellt werden können. Daraus ergibt sich auch die Annahme, dass die Physik einheitlich ist, d.h. sie soll für alle Zeiten und alle Bereiche des beobachtbaren Universums gelten. Folgende zwei PrinzipienPauen, M. (2001): Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Frankfurt: Fischer. S.28f. treten hinzu:
1. das Prinzip der kausalen Geschlossenheit:
In einer physikalischen Beschreibung dürfen keine Fakten / Prozesse vorkommen, die ihrerseits nicht physikalisch beschreibbar / erklärbar sind. (Das schließt aus, in einer physikalischen Beschreibung etwa Gott, den Geist -oder auch den freien Willen- als Ursache anzunehmen.)
2. das Prinzip der physischen Determination:
Alle Fakten / Prozesse der Welt werden durch physische / physikalische Fakten determiniert. (Es gibt also für alles und jedes eine physikalische Beschreibung. Nur ist sie möglicherweise nicht relevant oder praktisch (nicht aber prinzipiell) unmöglich; z.B. die physikalische Beschreibung eines sozialen Ereignisses.)
Daraus ergibt sich u.a., dass eine Theorie, die etwa biologische Veränderungen im Organismus auf 'Angst' zurückführt, nicht biologisch, sondern psychologisch ist; und eine Theorie, die als Ursache eines physikalischen Phänomens die göttliche Intervention annimmt, ist nicht physikalisch, sondern theologisch (s. Reduktionismus).
Wir grenzen damit einen physischen von einem nicht-physischen Phänomenbereich ab. Gott, Geist und das Psychische, sagen wir, sind keine physikalischen Größen. Sie müssen daher notwendig aus der physikalischen Betrachtung ausgeschlossen werden. (In Anlehnung an eine Bemerkung von Erwin SchrödingerSchrödinger, E. (1959): Geist und Materie. Wien: Paul Zsolnay, 1986. S. 67f. könnte man bildlich sagen, dass die Welt der Naturwissenschaft beschreibt, was ins Auge hineingeht, also die Beobachtung, aber nicht das, was aus dem Auge hervorgeht, nämlich den Blick.)
Diese Abgrenzung eröffnet uns einen ungeheuren Einfluss auf die Welt und macht uns von Geschöpfen zu Schöpfern, etwa im Bereich der Technologie (s.u.). Sie betrifft auch uns selbst: als physikalische 'Geschöpfe' sind wir selbst kausal determiniert, können also nichts berwirken und haben keinen Einfluss; als Beobachter und Schöpfer aber betrachten wir uns als nicht-physisch, als frei handelnd, bewirkend und Einfluss nehmend. Die Physik ist also von vornherein auch psychisch, insofern wir es sind, die sie betreiben. Und die Welt, der wir naturwissenschaftlich gegenübertreten, ist eine Welt, die wir so bestimmt haben, dass wir ihr in dieser Weise gegenübertreten können.
Diesen Aspekt haben wir ausgeblendet, stellen aber doch irgendwann fest, dass etwas fehlt und bemühen uns, das Fehlende in das Physikalische einzugliedern, ohne die Ausgrenzung, mit der wir begonnen haben, zurückzunehmen. Das ist eine der Schwierigkeiten des Leib-Seele-Problems.
Im Alltag gibt es erstaunlicherweise diese Probleme nicht. Niemand käme auf die Idee, sein ganzes Leben nur auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu gründen und daneben nichts anderes zuzulassen. Auch Naturwissenschaftler brauchen Geschichten. Auch sie glauben (in der Regel), dass unser Bedürfnis nach Sinn nicht allein durch die Naturwissenschaft befriedigt werden kann: sie hören Musik, lesen Romane und erzählen sich selbst und anderen die Geschichte ihres Lebens. Viele glauben an Gott.
Die meisten Wissenschaftler, die jemals gelebt haben, leben heute. In der modernen Wissenschaft überwiegt die horizontale Instruktion, also das Wissen innerhalb einer Generation die vertikale, in der Wissen über Generationen weitergegeben wird. (Schon ein zehn Jahre altes Lehrbuch der Biochemie ist veraltet; unser technisches Wissen verdoppelt sich ca. alle drei Jahre und diese Zeit verkürzt sich laufend.)
Das Gefundene ersetzt das Vorgefundene und das Angehäufte das Gewachsene; die Welt ist ein Umschlagplatz exponentiell anwachsender Informationen. (Rationalität). Es wird geliefert, aber nicht mehr überliefert. Die Überlieferung ist den Historikern, den Theologen und den Esoterikern überlassen. Dadurch wird die Wissenschaft in einer Weise geschichtslos und ist auch von daher abgetrennt von den Fragen des Sinnes, denen immer eine kulturell-geschichtliche Dimension innewohnt.
-Übrigens werden auch die Gegenstände unseres Alltags ersetzt, bevor sie noch durch Gebrauch wirklich in Besitz genommen werden können und durch die Spuren dieses Gebrauchs so etwas wie eine Geschichte haben. Sie sind Geschichte, bevor sie eine haben, könnte man etwas sarkastisch sagen. In einem wesentlichen Sinne ist nämlich auch die Beziehung zum Gegenstand (das Mein-Sein) die Beziehung zur gemeinsamen Geschichte.
Die große Zahl der hier und heute forschenden Physiker bringt es auch mit sich, dass sich die Physik selbst verändert hat. Kein Physiker kann es sich mehr leisten, sich ein Problem ein paar Jahre lang denkend zurechtzulegen wie Planck das mit der Schwarzkörperstrahlung tat. Die großen Entwürfe des Anfangs des 20en Jahrhunderts fehlen daher weitgehend. Das Daten-Sammeln hat das synoptische Nachdenken ersetzt. Die Spezialisierung schreitet voran. Für einen Physiker ist es inzwischen unmöglich, alle Bereiche seines Faches zu überblicken, wie es Einstein noch konnte. Viele Experimente sind derart teuer und kompliziert, dass hier eine Grundregel der Naturwissenschaft, nämlich die Replizierbarkeit eines Versuchs, faktisch außer Kraft gesetzt ist.
In der Hochenergiephysik, etwa am Large Hadron Collider des CERN in Genf, müssen - ähnlich wie in der Hirnforschung - so schwache Signale bzw. so geringe Signal-Rauschabstände verarbeitet werden, dass man sich ganz und gar auf die mathematische Korrektheit der verwendeten Filter verlassen muss, um nicht völlig unsinnige Ergebnisse zu bekommen. In der Kosmologie hat sich das Urknall-Modell als gängige Lehrmeinung durchgesetzt, weil es durch Beobachtungen gestützt zu werden scheint, aber auch, weil es in seiner Grundform einfach und elegant ist, wie es sich die Physiker wünschen. Mittlerweile ist dieses Modell nicht nur unglaublich kompliziert geworden, sondern es führt dazu, dass sich das Universum eher noch verdunkelt und unserer Erkenntnis entzogen hat, weil es zu 96% aus Dunkler Materie und Dunkler Energie bestehen soll, die wir nicht beobachten können. Aus etwas Einfachem wird durch alle möglichen 'Anbauten' ein undurchdringliches Konvolut, und man denkt wehmütig an den Satz "Simplex sigillum veri", das Einfache ist das Siegel des Wahren. Aber selbst bei einer einfachen - und in der Praxis äußerst brauchbaren - physikalischen Einheit, wie dem Impuls (kg·m/s) wissen wir bis heute nicht, was eigentlich Masse ist, was eigentlich Raum ist und was eigentlich Zeit ist.
Am anderen Ende der Größenordnungen, im Bereich des Mikrokosmos, hat die Frage nach der Verbindung zwischen Gravitation und den drei anderen 'Grundkräftenstarke Kernkraft, elektromagnetische Wechelwirkung, schwache Kernkraft' - also die Frage nach der Vereinbarkeit von Quantenphysik und Relativitätstheorie - zur String-Theorie geführt, die sich im Bereich der Planck-Länge bewegt (10 -35m), so dass jede Beobachtung vollkommen ausgeschlossen ist. Man verlässt sich auf die Konsistenz der mathematischen Beschreibung, ohne eine Ahnung davon zu haben, was da eigentlich beschrieben wird - "mathematisch exakte Metaphysik" nennt es Edgar Harnack treffend. Und wie soll man es sich vorstellen, wenn manche Quantenphysiker annehmen, jede Wechselwirkung zwischen zwei 'Teilchen' erschaffe ein neues Universum, Abermilliarden in jeder Milliardstel Sekunde?
- In den Nebelkammern der Wissenschaft wird ein Nebel gemacht, so dass zu sehen ist, was sonst nicht zu sehen wäre, aber nicht mehr zu sehen ist, was sonst zu sehen wäre.
Andererseits nun ist die Physik - unabhängig von diesen ganzen theoretischen Fallstricken und innerhalb der sich durch sie abzeichnenden Grenzen - eminent nützlich. Und so wird sie, wie die Naturwissenschaft überhaupt, mehr und mehr der Nützlichkeit untergeordnet. Richard Feynman1918-1988, amerikanischer Physiker; Nobelpreis 1965, entwickelte u.a. die Quantenelektrodynamik. scherzte noch: "Science is like sex: sometimes something useful comes out but that's not why we're doing it." Heute steht immer häufiger die technische und ökonomische Verwertbarkeit im Vordergrund.
Die technischen Apparate aber, die uns dienen, müssen ihrerseits 'bedient' werden. Schon im 19.Jh. schrieb Henry David Thoreau: "But lo! Men have become the tools of their tools."Thoreau, H.D. (1854): Walden. -Doch siehe, die Menschen sind zu Werkzeugen ihrer Werkzeuge geworden.
Daraus ergibt sich die Aufgabe, nicht mehr nur die Natur durch die Technik, sondern die Technik selbst wieder zu beherrschen, und es gibt - neben den offensichtlichen Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen - Science-Fiction-Entwürfe über die Möglichkeit, dass wir diesen Kampf verlieren (z.B. der Film 'Matrix' oder die 'Borg' in der Serie 'Star Trek'; generell eine sogenannte Technologische Singularität, in der die Maschinen unsere Intelligenz übertreffen, ein eigenes Bewusstsein entwickeln und sich das Mensch-Maschine-Verhältnis umdreht).
Gottes Schöpfung, die an uns angepasst war, wird ersetzt durch unsere eigene, technische, mit der wir zunächst die Welt an uns anpassen, bevor sie selbst zur 'Natur' wird und uns als evolutionäre Kraft wieder in den Dienst nimmt und an sich anpasst. (Johann Gottfried Herder nannte die Kultur, für die im übrigen dasselbe gilt, die 'Zweite Natur'. Die Technik wäre dann die 'Dritte Natur'.)
Während wir aber allen diesen Kräften - denen der Natur und denen der Technik - gegenübertreten können (und müssen), 'unterliegen' wir, im doppelten Wortsinne, dem Gesamtprozess, der all das einschließt und umfasst, in dem die Welt nicht ist, sondern sich ereignet, dem wir anheimgegeben sind und den wir nur noch andächtig und vertrauensvoll, also spirituell, betrachten können.
Religiöser Glaube und Aberglaube sind ganz verschieden. Der eine entspringt aus Furcht und ist eine Art falsche Wissenschaft. Der andre ist ein Vertraun. (Ludwig Wittgenstein)Ludwig Wittgenstein (1948): Vermischte Bemerkungen. Frankfurt: Suhrkamp, 1977, S.136.