Garten

Selbstreferenz

• Das Wort 'Apfel' ist nicht selbst ein Apfel. Aber das Wort 'Wort' ist selbst ein Wort.
• Wenn wir multiplizieren, zählen wir Zahlen: dreimal drei.
• Wenn wir sagen: 'dieser Satz ist kurz', dann sagen wir etwas in einem Satz über ihn.
• Dieser Satz ist falsch. (Wenn er jetzt tatsächlich falsch ist, dann ist er wahr, wenn er wahr ist, dann ist er falsch: das ist eine Fassung des berühmten Paradoxes von Epimenides, dem Kreter, der sagte 'Alle Kreter lügen'.)

All diese Beispiele weisen auf eine Grundeigenschaft unseres unterscheidenden Bewusstseins - und seines primären Werkzeugs, der Sprache und des sprachlich-logischen Denkens - hin: es ist selbstreferentiell, d.h. es bezieht sich (auch) auf sich selbst.

Man sagt, dass Schimpansen und Menschen die einzigen Tiere sind, die sich selbst anfassen, wenn man ihnen unbemerkt einen Farbfleck auf die Stirn macht und sie in einen Spiegel schauen lässt. Dazu ist es nämlich nötig, sich selbst zu erkennen und nicht nur irgendein Gegenüber im Spiegel, das einen Farbfleck auf der Stirn hat und einem alles nachmacht.

Im Bereich der Zeichen dasselbe: Zeichen geben können viele Tiere, z.B. die Biene, die ihren Tanz aufführt um anderen Bienen den Weg zu ergiebigen Blütenständen zu zeigen. Aber kein Tier, auch kein Schimpanse, kann Zeichen über diese Zeichen geben. Nur wir Menschen können das, und es ist das Spezifikum der Sprache und des Sprachzeichens (im Gegensatz zum Anzeichen), dass die Zeichen selbst bezeichnet werden können. Unser gesamtes konzeptuell-begriffliches Denken, unsere gesamte Wissenschaft, Rationalität, Logik, und auch unsere Kultur beruhen darauf.

Wir sprechen über Sprache; wir denken nach über das Denken; wir beobachten uns beim Beobachten. Der englische Psychiater Ronald Laing nannte solche selbstreferentiellen Vorgänge in der Alltagssprache und im Alltagsdenken 'Knoten'Laing, Ronald (1970): Knots. Harmondsworth, Penguin. 1972 (Dt. Knoten. Hamburg, Rowohlt, 1972.) (Zitate von Seiten 20 und 55 der engl. Ausgabe, Übers. HM). und gibt in seinem gleichnamigen Buch viele Beispiele. Hier sind zwei davon:

Jill: Ich bin blöd.
Jack: Nein, bist du nicht.
Jill: Ich bin blöd, wenn ich denke, dass ich blöd bin, obwohl ich's nicht bin.

Wenn ich nicht weiß, dass ich nicht weiß, denke ich, dass ich weiß.
Wenn ich nicht weiß, dass ich weiß, denke ich, dass ich nicht weiß.

Mit diesen Knoten - und der Selbstreferenz überhaupt - hat es folgende Bewandtnis: Im Bereich der Logik bemerkte man schon im Altertum zwei besondere Grenzen unseres Denkens: Grenzen, an denen es nicht weitergeht, sich das Ganze verheddert und der Verstand sich, wie Wittgenstein es einmal ausdrückte, Beulen holt. Diese zwei Grenzen (die tatsächlich miteinander zusammenhängen) sind die Antinomie (bzw. das Paradoxon) und der sogenannte 'regressus ad infinitum'.

Ein Beispiel für eine Antinomie, einen Selbst-Widerspruch, hatten wir oben schon ('Dieser Satz ist falsch'). Der 'regressus ad infinitum' ist ein Ausflug in die Unendlichkeit und begegnet uns beispielsweise im 'Satz vom zureichenden Grund': Alles hat eine Ursache, durch die es vollkommen bestimmt ist. Und wenn 'alles' wirklich alles meint, gibt es keinen Anfang, nichts, das keine Ursache hat, keinen ungeschaffenen Schöpfer, keinen unbewegten Beweger: die Kette der Ursachen (und Wirkungen) ist unendlich.

Diese beiden Grenzen spielen eine große Rolle im folgenden:

In den Jahren 1930 und 1931 publizierte der österreichische Mathematiker Kurt Gödel eine kleine Serie von Artikelnder Hauptartikel: Gödel, Kurt (1931): Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme. Monatshefte f. Mathematik u. Physik, 38., die ich, auch wenn ich kein Mathematiker bin und deshalb die Beweisführung im einzelnen nicht verstehe, für eine der größten Leistungen der Geistesgeschichte halte. In seinen beiden 'Unvollständigkeitssätzen' zeigte er nämlich, dass in jedem formalen (mathematischen) System, das mindestens so 'mächtig' ist wie die Peanosche Arithmetik (d.h. jedes System, in dem diese Arithmetik enthalten ist), folgendes gilt:

Solche Systeme erlauben es, Sätze (Aussagen) aus dem System herzuleiten, die selbstreferent sind, also etwas über sich selbst behaupten. Eine bestimmte Klasse (K) solcher Sätze könnte - alltagssprachlich formuliert - lauten: "Die Sätze {a, b, c, d,...} sind nicht beweisbar."

Gödel zeigte nun, dass es in K Sätze gibt, die aus dem System korrekt hergeleitet werden können, in diesem System aber nicht entscheidbar sind, d.h. weder die Sätze selbst noch ihr Gegenteil können bewiesen werden, sofern das System in sich widerspruchsfrei ist. - Ist es das nicht, kann man natürlich alles mögliche beweisen: "ex falso quodlibet"aus dem Falschen folgt Beliebiges.

Wenn es nämlich gelänge, einen solchen Satz zu beweisen, dann wäre er nicht wahr, denn wir würden einen Satz beweisen, der von sich selbst sagt, dass er nicht bewiesen werden kann. Wir hätten also einen Satz, der falsch ist, weil und obwohl wir ihn beweisen können.
Gelänge es hingegen, sein Gegenteil zu beweisen, dann gehörte auch der ursprüngliche Satz nicht zu der Klasse K der unbeweisbaren Sätze; er wäre dann nämlich falsch, also beweisbar, und wir müssten sowohl ihn selbst als auch sein Gegenteil beweisen können, was logisch nicht möglich ist.

Es muss also ein solches System entweder in sich widersprüchlich sein, so dass wir alles mögliche beweisen können, oder aber unvollständig, weil es Sätze gibt, die sich korrekt herleiten, aber nicht durch Beweis oder Widerlegung entscheiden lassen.

Im zweiten Unvollständigkeitssatz führte Gödel den - damit zusammenhängenden - Beweis, dass ein hinreichend mächtiges System auch seine eigene Widerspruchsfreiheit (Konsistenz) nicht beweisen kann. Der Satz "Dieses System ist konsistent", ist im System selbst grundsätzlich unbeweisbar, wenn dieses System tatsächlich konsistent ist.
Wie im ersten Unvollständigkeitssatz brauchen wir auch hier 'metamathematische' Überlegungen, also ein System noch höherer Mächtigkeit - für das aber wieder dasselbe gilt (... ad infinitum).

Das heißt, dass die formalen Systeme der Logik und Mathematik (außer den wirklich fundamental einfachen wie etwa der Aussagenlogik) entweder vollständig oder aber widerspruchsfrei sein können, niemals aber beides zusammen.

Anders ausgedrückt, und zwar mit den Worten von Douglas HofstadterHofstadter, D.: Gödel, Escher, Bach. NY: Basic Books, 1979. Zitat von S.19: "Provability is a weaker notion than truth.":

"Beweisbarkeit ist ein schwächerer Begriff als Wahrheit".


Das wirklich Wunderbare daran ist, dass man das in der Mathematik über sie herausfinden kann. Und es ändert selbstverständlich nicht das Geringste an der alltäglichen und der wissenschaftlichen Brauchbarkeit der Mathematik und des logischen Denkens.

Dennoch sind wir in diesem selbstreferentiellen Denken auch gefangen. Es ist ein Gefängnis der Unendlichkeit (ähnlich wie Borges' Bibliothek von BabelJorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel. In: Ges.W., Erzählungen, Bd.1. München: Hanser, 1981.). Es bietet unendliche Möglichkeiten, wie das Gehen auf der Erdkugel, das unbegrenzt erscheint; aber die Kugel ist auch ein Gefängnis. Es gibt die Begrenzung. Und selbst wenn wir im Falle der Erdkugel das Gefängnis durch die Raumfahrt bereits verlassen haben, so nur, um uns in einem noch größeren wiederzufinden. Und nach dem Gödelschen Beweis ist es ausgeschlossen, dass es jemals eine auf mathematisch-logischem Denken beruhende vollständige und widerspruchsfreie wissenschaftliche Erklärung der Welt geben wird. Immer wird etwas Unerklärtes und Unerklärliches bleiben. In seinem Tractatus logico-philosophicus schreibt Ludwig WittgensteinLudwig Wittgenstein (1918/1921): Tractatus logico-philosophicus. Abschnitt 6.52:

Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.

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