Sprache unterscheidet sich von anderen Kommunikationsformen dadurch, dass sie selbstreferent ist. Sie kann über sich selbst sprechen. Anzeichen in der Natur, Warnlaute von Tieren oder etwa der Tanz der Bienen teilen ebenfalls etwas mit, aber sie können nicht über sich selbst Auskunft geben. Die Sprache gestattet es außerdem, beliebige Ereignisse oder Dinge hinsichtlich bestimmter Eigenschaften zu Klassen zusammenzufassen und also Begriffe und Konzepte zu bilden, in denen von den übrigen Eigenschaften ihrer Elemente -und damit ihrer Einzigartigkeit- abgesehen wird.
Wir teilen unser Erleben nichtsprachlich mit durch körperlichen Ausdruck, (z.B. Mimik und Gestik) und sprachlich durch Worte, Begriffe und Konzepte. In diesen letzteren deuten wir unser Erleben und passen es in eine Form, eben die sprachliche.
Diese Form legt bestimmte Deutungen nahe und macht andere schwierig oder unmöglich. Das merkt schon jeder, der eine Fremdsprache gut beherrscht. Da wird es immer Begriffe und Konzepte geben, die in der einen Sprache leicht verfügbar sind, in der anderen aber fehlen. Z.B. gibt es im Deutschen kein genaues Äquivalent für das englische Konzept 'mind'; umgekehrt wird in dem englischen Begriff 'experience' nicht unterschieden zwischen 'Erlebnis' und 'Erfahrung'.
Die Sprache beschreibt nicht die Welt, sondern unsere, auch durch die jeweilige Sprache begründete, Erkenntnis dieser Welt. Unsere Weltsicht ist also eng mit der Sprache verknüpft, die wir verwenden. So merkte beispielsweise Erwin SchrödingerSchrödinger, Erwin (1960): Mein Leben, meine Weltansicht. München, dtv, 1996. an, dass die Subjekt-Objekt-Trennung und die Vorstellung von 'Dingen' die aus 'Substanz' bestehen, also die - bis zur Quantentheorie völlig unangefochtenen - Grundlagen unserer Naturwissenschaft, in den meisten (indoeuropäischen) Sprachen bereits angelegt sind. Es werden Subjekte, Objekte, Eigenschaften und Prädikate unterschieden. Schon die griechische Philosophie nahm sie selbstverständlich als Bestandteile der Welt an; sie liegen der Grammatik der Sprache zugrunde.
Unsere falsche Philosophie ist der ganzen Sprache einverleibt; wir können sozusagen nicht räsonnieren, ohne falsch zu räsonnieren. […] Es wird also immer von uns die wahre Philosophie in der Sprache der falschen gelehrt. (G. C. Lichtenberg Sudelbücher I79,2)
Andersherum: Über Dinge, die nicht in die Form der Sprache passen, können wir keine direkte Auskunft geben. Und die Auskunft, die wir etwa über unser Erleben geben, wird immer einen 'Übersetzungsfehler' enthalten, der durch die Form (und die semantische Struktur) der verwendeten Sprache bedingt ist. Zwei verschiedene Sprachen geben ähnliche, aber nicht gleiche Repräsentationen der Welt.
Im Normalfall ist das verhältnismäßig unproblematisch, aber es gibt Grenzen, wo es zum Problem wird. Eine solche Grenze tut sich auf, wenn wir etwa feststellen, dass manche Ergebnisse der Naturwissenschaft nur noch in der Sprache der Mathematik ausgedrückt werden können, aber nicht mehr in irgendeiner unserer Alltagssprachen. Das trifft z.B. für die Ergebnisse der Quantenphysik zu. HeisenbergWerner Heisenberg: 'Der Teil und das Ganze', S. 246. schrieb:
Die Quantentheorie ist so ein wunderbares Beispiel dafür, daß man einen Sachverhalt in völliger Klarheit verstanden haben kann und gleichzeitig doch weiß, daß man nur in Bildern und Gleichnissen von ihm reden kann.
Hier gibt es zwar ein mathematisches Verständnis, aber unsere Alltagssprache trifft an dieselbe Grenze, die auch unsere Rede über Gott und über bestimmte Erfahrungen kennzeichnet: es geht nicht mehr direkt, sondern nur noch über Gleichnisse. Auch die Lyrik als der vielleicht vollkommenste sprachliche Ausdruck des Erlebens besteht weitgehend aus Gleichnissen. Es geht nicht anders.
Die Wörter eines Gedichts haben manchmal vielleicht nur die Bedeutung, die eine Note in einem Musikstück hat. Linguistisch ausgedrückt: Ihr Denotatdie 'faktische' Bedeutung, der bezeichnete Sachverhalt ist gegenüber dem Konnotatdie Bedeutung im übertragenen Sinne; das, was emotional mitschwingt (relativ) bedeutungslos. Und gerade dadurch gelingt es, in der Sprache darauf hinzuweisen, dass es etwas gibt, für das wir keine Wörter haben.
So ist die poetische Sprache eine Sprache des Erlebens, der Lyrik, aber auch der Spiritualität und der Philosophie - sofern sich diese letztere nicht, wie Karl JaspersWahrheit und Wissenschaft, Vortrag: Basel 1960. →youtube einmal anmahnte, als eine Art Naturwissenschaft selbst missversteht.
Das wissenschaftlich beschreibbare Herz, etwa, ist ein muskuläres Hohlorgan, das regelmäßige, durch lokale und zentrale Nervenknoten abgestimmte Ansaug- und Ausstoßkontraktionen durchführt und so einen kleinen, pulmonalen und einen großen, peripheren Blutkreislauf aufrecht erhält.
Das poetische Herz macht demgegenüber ganz andere Bewegungen: es öffnet und verschließt sich, es hüpft, es 'blutet', es ist warm oder kalt und manchmal bricht es. Das alles sind Erlebensweisen, die in der Metapher des Herzens ausgedrückt werden. Sie sind nicht weniger real als das wissenschaftlich Beschriebene.
Im gemeinen Leben kommen wir mit der Sprache notdürftig fort, weil wir nur oberflächliche Verhältnisse bezeichnen. Sobald von tieferen Verhältnissen die Rede ist, tritt sogleich eine andere Sprache ein, die poetische.
Diese poetische Sprache verbietet das Recht-Haben, denn in ihr geht es nicht um die 'wahre', quasi-objektive Beschreibung der Welt. Das wird schon an einem ihrer Elemente, dem Gleichnis, deutlich: das Gleichnis sagt ausdrücklich, dass etwas nicht 'so' ist, sondern 'so wie'. Man kann also nicht sinnvoll sagen, dass der Dichter Recht oder Unrecht hat, sondern lässt sich von den Gleichnissen führen und schaut auf die Wirkung. In dem Maße, in dem Philosophie und Theologie sich der poetischen Sprache bedienen (müssen), gilt das auch dort: es eröffnen sich viele Sprachmöglichkeiten, aber eine wird verschlossen: das So-Ist-Es. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, die Sprache verselbständige sich und kreise eigentlich nur noch um sich selber - die tieferen Verhältnisse verlangen die poetische Sprache, aber ich vermute, dass nicht alles 'Poetische' automatisch mit den tieferen Verhältnissen zu tun hat.
Manchmal lese ich spirituelle Bücher neuerer Autoren, bei denen ich merke, dass sie mir nichts sagen, wenn ich sie quasi als Fachbücher lese. Ich versuche dann, sie als Predigten aufzufassen, also als etwas in poetischer Sprache Geschriebenes. Häufig korrigiert das meinen Eindruck. Wenn nicht, lege ich das Buch weg.
Es gibt Begriffe und Konzepte, die völlig klar sind, wenn wir sie verwenden, und sofort unklar werden, wenn wir versuchen, sie zu bestimmen. (Karl KrausPro domo et mundo. In: Die Fackel 324-328, S.44 sagte einmal: "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück".) Dazu gehört vor allem der Begriff des Lebendigen, aber auch Rationalität, Wissen, Glaube, Seele / Psyche, Existenz / Sein, usw.
Solche Begriffe sind Explanansdas, was erklärt, nicht Explanandumdas, was erklärt werden soll: man kann sie nicht zum Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchung machen, sondern man muss sie voraussetzen. Wenn wir das nicht tun, sind die daraus folgenden wissenschaftlichen Fragen von vornherein so unsinnig, wie etwa die, wieviele Engel auf einer Nadelspitze stehen können oder wie schwer eine Zahl ist. Wir versuchen dann aufgrund solcher Fragen, das Lebendige aus unserer Kenntnis des Unlebendigen und der dinglichen Realität zu bestimmen, und Gott aus unserem Verständnis der Welt.
Oft verwechseln wir in unserem Fragen Syntax und Semantik. Infolge der grammatischen Wohlgeformtheit einer Frage nehmen wir an, dass sie auch beantwortet werden kann. Das ist, als schlössen wir aus der Beschreibung eines Einhorns auf seine Realität. Auf diese Weise stellen wir Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Tod, Schicksal und Endzeit... und nach Gott.
Natürlich gibt es diese Begriffe dennoch. Sie beschreiben oder benennen aber nicht, wie in der Wissenschaft, sondern sie weisen hin, zeigen auf etwas. 'Pointers' (Zeiger) werden sie deshalb in der östlichen Tradition oft genannt.
Dass etwas ist und nicht vielmehr nichts, ist die Grundlage unserer Weltanschauung. So sehen bzw. denken wir die Welt als das 'Begreifbare', das Dingliche. Es ist in diesem Sinne undenkbar, dass nichts sei. Es ist auch undenkbar, dass etwas sei und gleichzeitig nicht sei oder dass etwas, wie Schrödingers KatzeEin Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger, in dem eine Katze (als Quantenereignis) gleichzeitig tot und lebendig ist, bis wir sie beobachten und - durch diese Beobachtung˙ - immer nur einen einzigen der beiden Zustände vorfinden., gleichzeitig tot und lebendig sei. Genau das ist aber die Aussage der Quantentheorie und es ist auch die Aussage der spirituellen Lehrer:
Huang-PoDer Geist des Zen, S.82. schreibt:
Es gibt keine Erleuchteten und keine Unwissenden, und es gibt kein Nichts. Wenn auch im Grunde die Dinge ohne objektive Existenz sind, so darfst du doch nicht denken, sie seien nichtexistent, und wenn sie auch nicht nichtexistent sind, darfst du sie nicht als existierend denken.
Der 43. Koan des MumonkanShibayama, Zenkei: Zu den Quellen des Zen. O.W.Barth Verlag, 1976. lautet folgendermaßen:
Meister Shuzan hielt seinen Stab hoch, zeigte ihn den versammelten Schülern und sagte: "Wenn ihr Mönche dies einen Stab nennt, dann seid ihr an den Namen gebunden. Wenn ihr es keinen Stab nennt, leugnet ihr das Faktum. Sagt mir, Mönche, wie nennt ihr es?
Und schließlich lesen wir in den Goethe-Schillerschen XenienGoethe / Schiller (1797): Xenien - Tabulae Votivae. Zuerst erschienen im Musenalmanach 1797. unter der Überschrift Sprache:
Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen?
Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.