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Ego: Identifikation

Wenn wir mit dem Ego als der Summe des uns Unterscheidenden identifiziert sind, nehmen wir nichts mehr wahr als eben diese Unterscheidungen. Wir sind einzigartig und -ob wir es jederzeit bewusst spüren oder nicht- zutiefst einsam und im Kreis der anderen wie nach außen gewendet.

Die Versuchung zu solcher Identifikation in Kindheit und Jugend ist groß: In Verbindung mit systemischen Verstrickungen laden Enttäuschungen, Mißtrauen und körperliche Gebrechen genau so dazu ein wie Hochbegabung, besondere Durchsetzungskraft und großer Erfolg. Die Identifikation kann dauerhaft oder momentan sein; manchmal vollzieht sie sich so schnell, dass wir sie erst an ihrer Wirkung auf uns bemerken.

In der Identifikation gelangen wir zu der Auffassung, dass wir mit anderen nichts gemeinsam haben und/oder dass sie unfähig sind, uns zu verstehen. Wir sind fokussiert nach innen oder nach außen, also auf uns selbst oder auf einen winzigen Ausschnitt der Welt, der ein Problem ist. Diese Fokussierung ist gegenüberstehend, nicht teilhabend. Was wir dann 'ich' nennen, meint tatsächlich nur das Ego, so als wäre es alles. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch diese Identifikation regelmäßig erfährt. Für die meisten von uns ist sie Alltag; für manche existiert fast nichts anderes. Sie ist Segen und Fluch: Segen, weil sie uns hilft, uns in der Welt zu orientieren und zu behaupten; Fluch, weil sie den Blick dafür verstellt, dass wir mehr sind als nur das.

Es gibt zwei grundsätzliche und gleichwertige Ausprägungen dieser Identifikation: die depressive und die psychopathische. In der ersteren macht das Ego den Unterschied zu anderen zu unseren Ungunsten ("Ich bin schlechter als Ihr"), in der zweiten zu unseren Gunsten ("Ich bin besser als Ihr"). Man kann sich das wie eine Medaille vorstellen, die um den Hals hängt: Auf der Vorderseite steht der eine Satz und auf der Rückseite der andere. Auf dem Rand der Medaille aber steht das, was die beiden Seiten verbindet und funktional gleichwertig macht: "Ich bin anders als Ihr".

Bei vielen ist diese Medaille relativ stabil: die eine oder die andere Seite zeigt sichtbar nach außen. Bei manchen aber, oder in Fällen großer Erschütterung, dreht sie sich hin und her, bald zeigt die eine Seite nach außen, bald die andere. Subjektiv wird das als starke und abrupte Schwankung der Stimmung und des Selbstwertgefühls erlebt. Es gibt keine Mitte, keine Ausgeglichenheit und kein Drittes. Es ist immer Entweder-Oder.

Zum Ego gehört die Kränkung und das Selbstmitleid ebenso wie die Rache und der Triumph. Sie sind umso stärker ausgeprägt, je stärker wir mit dem Ego identifiziert sind.

Die zur Ego-Identifikation passende Erste der sogenannten 'Sieben Todsünden' ist der Hochmut (Superbia). Man mag einwenden, dass doch Depressive gerade das Gegenteil davon zu sein scheinen, aber es gibt einen besonderen Hochmut der 'Underdogs'. Als jüngerer Mann sagte ich einmal zu meinem Lehrer: 'Ich glaube, ich kann gar nichts richtig.' Und er antwortete: 'Was für eine hochmütige Äußerung'.

Wir brauchen ein funktionierendes Ego, um in der Welt zurecht zu kommen. Deshalb sind psychotherapeutische Interventionen bei Patienten, die infolge frühkindlicher Störungen ein schwach gebildetes Ego haben, auf dessen Stärkung gerichtet. Wenn aber die dauerhafte Identifikation mit einem starken Ego- Schon Freud meinte, dass die Patienten manchmal erst 'neurosefähig' gemacht werden müssten, weil eine Neurose ein starkes Ich voraussetze. vorliegt, dann besteht die 'Therapie' darin, dieses Ego vom Herrn zum Diener zu machen. Und weil das natürlich den entschlossenen Widerstand dieses Ego hervorruft -das sich im Übrigen auch wenn es wollte nicht selbst wegschieben kann-, braucht es oft eine wirklich große Not, der es vorübergehend erliegt. Chögyam Trungpa sagte denn auch sinngemäß über die Erleuchtung, sie sei der äußerste Schrecken und wie ein Tod für das Ego.
Eine andere Methode ist natürlich, sich durch Disziplin und langes Training, etwa durch Meditation, sukzessive bereit zu machen; das ist der Weg der Mönche. Aber kaum jemand, der mit seinem Ego vollständig identifiziert ist, würde diesen Weg von sich aus einschlagen. (Die Bereitschaft garantiert das Ergebnis so wenig wie das Säen die Ernte, aber sie ist die Voraussetzung dafür und sie ist alles, was wir 'machen' können. Der Rest ist Gnade.)

Und weil innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit Angelegenheiten der Seele und nicht des Ego sind, bleiben sie unerreichbar, solange man mit seinem Ego identifiziert ist. (Die Serenity Home Reference meint dazu: Pride is the Ego's best shot at happiness.)

Ein unbekannter Weiser sagte: "Denke daran, dass du völlig einzigartig bist - wie alle anderen auch."

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