Gott ist dem Erleben gegeben, aber nicht dem Beobachten oder dem Denken. Was ich über Gott weiß oder denke, ist nicht Gott: Was ich mir über 'ihn' aus dem unterscheidenden Bewusstsein herleite, ist 'er' nicht.
"Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht", wird Dietrich Bonhoeffer zitiert. Und schon Augustinus meinte: "Si comprehendis, non est deusWenn du es begreifen kannst, ist es nicht Gott.". Dasselbe sagt auch Meister EckehartMeister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übers. von Josef Quint. Zürich: Diogenes, 1979. (Zitat aus 42. Predigt): "Hätte ich einen Gott, den ich erkennen könnte, ich würde ihn nimmer für Gott ansehen!" (Und mein Freund George Chynoweth, ein mathematischer Psychologe, definiert Gott als "Division by zero" - was ein undefinierbarer Term ist.)
Das Wort 'Gott' ist kein EigennameDer Gott des Islam 'heißt' nicht Allah, sondern das Wort 'Gott' heißt auf arabisch 'Allah' (und auf französisch 'Dieu'). und die Unerkennbarkeit ist keine Eigenschaft.
Wenn wir beispielsweise ein äußeres Verhalten nur beobachten, also etwa nach dem Kriterium 'bewegt sich - bewegt sich nicht', dann hat 'Verhalten' ein Gegenteil: Bewegungslosigkeit. Wenn wir aber Verhalten als Bedeutung oder Kommunikation anschauen, dann bedeutet auch die Bewegungslosigkeit etwas und 'Verhalten' hat kein Gegenteil. In einem ähnlichen Sinne kann man vielleicht sagen:
Es (Gott, das All-Eine) ist gut, aber nicht in dem Sinne, wie etwas gut oder böse ist.
Es ist wahr, aber nicht in dem Sinne wie etwas wahr oder falsch ist.
Es ist, aber nicht in dem Sinne, wie etwas ist oder nicht ist.
So ist Gott kein Seiendes, sondern (wie) das Sein selbst, das HeideggerMartin Heidegger (1927): Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer, 1993. S.4/6 als 'ontologische Differenz' folgendermaßen beschreibt:
Der Begriff 'Sein' ist undefinierbar. [...]
'Sein' kann in der Tat nicht als Seiendes begriffen werden [...]
Das Sein des Seienden 'ist' nicht selbst ein Seiendes.
Gott als Erlebnistatbestand kann man nicht beschreiben wie einen Gegenstand. Man kann nicht sagen: "Es ist" sondern nur "Es ist wie...". Man beschreibt ein Erleben -ein komplexes Empfinden- in Bildern und GleichnissenDschuang Dsi ('Das wahre Buch vom Südlichen Blütenland') sagte: "90 Prozent meiner Reden sind Gleichnisreden.".
Gott ist nicht eine Person, 'er' ist manchmal wie eine Person. Gott ist nicht in allem (immanent), aber manchmal ist es, als sei er in allem. Gott ist auch nicht außerhalb von allem (transzendent), aber manchmal ist es, als sei es so.
Oft aber halten wir das Symbol für den Gegenstand, auf den es hinweist, die Speisekarte für die Speise, oder das Gleichnis für die Beschreibung eines Gegenstandes und streiten dann darüber, ob die Beschreibung des Gegenstandes wahr ist und ob die anderen nicht eine falsche Beschreibung haben. So als ginge es darum, zu wissen, wo wir glauben und erfahren sollen. Wir unterscheiden dann nicht zwischen Wissen und Glauben, zwischen Beobachten und Erleben.
Manchmal nenne ich Gott "Herr", weil es meinem Empfinden in diesem Augenblick entspricht, aber nicht, weil ich weiß oder dauerhaft annehme, dass Gott eine männliche Person ist, der ich untertan bin.
Ich kann also Gott, den ich als Gegenstand nicht beschreiben kann, auch nicht den logischen oder sonstigen Regeln unterwerfen, die für Gegenstände gelten. Ich kann 'ihm' nicht mit Vernunft oder Logik entgegentreten und also auch nicht sinnvoll fragen, wie es möglich ist, dass 'er' all das Übel in der Welt zulässt. Die Frage der Theodizee ist in diesem Sinne bedeutungslos, weil sie die gegenständliche und logisch fassbare Existenz Gottes voraussetzt.
Ich erlebe Gott in der Teilhabe, im Vertrauen, im Geführt-Werden, im "Ja"-Sagen dazu, im Dank dafür.
Gott ist eine Wirkung in meinem Leben. Diese Wirkung erlebe ich. Sie ist so gewiss wie mein Erleben gewiss ist. Über ihre Ursache kann nichts gesagt werden (sondern nur, dass bestimmte Handlungen diese Wirkung wahrscheinlicher erlebbar machen als andere).
Man mag einwenden, dass Gott so zu etwas Privatem wird, wie es das Erleben ja auch ist. In einer Weise ist das wohl auch so. Aber weil alle Menschen dieses Private haben, ist es gleichzeitig ein Gemeinsames, über das wir reden können, wie man über jedes tiefe Erleben reden kann. Doch wir können darüber eben nicht reden als eine Beschreibung der Welt. (Im Sinne WittgensteinsLudwig Wittgenstein (1945/49): Philosophische Untersuchungen;
-ders. (1949/51, Nachlass): Über Gewissheit. hat jemand, der darüber wie über die Welt redet, nicht dieselbe Lebensform wie ich; wir stimmen in den Urteilen / grammatischen Sätzen nicht überein, die unsere Sprachspiele und Lebensformen konstituieren: wir sprechen nicht dieselbe Sprache).
Ein zweiter Einwand ist noch gewichtiger: Kann dann nicht jedes Erleben als das Erleben Gottes gesehen werden? Wenn z.B. jemand im Zelt eines Evangelisten in eine Art rauschhafte Verzückung gerät, oder wenn jemand eine Vision hat, die ihm sagt, er müsse seinen Sohn nehmen, ihn auf einen Berg führen und ihn dort töten?
Und wie soll bestimmt werden, welches Erleben auf Gott bezogen ist und welches nicht?
Ich denke, dass eine Verzückung per se nichts mit Gott zu tun hat, und Abrahams Antwort hätte ein 'Nein' sein müssen. Vielleicht muss man, was diesen Einwand angeht, auf die Wirkung schauen: Bringt das Erleben Frieden und Einklang in der Psyche? Verbindet es uns mit den Menschen und der Welt oder trennt es uns davon? Dient es der Seele oder dem Ego?
Im ersten Gebot heißt es: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir (2.Mose, 20,3). Damit reiht sich Jahwe selbst ein unter die Göttervgl. dazu z.B.: Hellinger, Bert (2004): Gottesgedanken. München: Kösel. und Götzen, deren es viele gibt. Er ist damit 'verständlich', anthropomorph, beobachtbar, jemand, der an uns und unsere Vorstellung angepasst ist, wie seine Schöpfung auch. Nicht wir sind nach seinem Bilde gemacht, sondern er nach dem unseren. Ihn kann man bitten, man kann ihm opfern, man kann versuchen, sein Verhalten auf die eine oder andere Weise zu beeinflussen.
Wenn man also unter 'Atheismus' das Gegenteil von 'Theismus' versteht, d.h. die Ablehnung eines (dauerhaften) Glaubens an Gott als Person, dann bin ich wohl Atheist. Versteht man darunter aber die Leugnung jedweder höheren Macht, dann bin ich sicher keiner.
Und diese höhere Macht, die ich Gott nenne, ist für mich eine Notwendigkeit, das Erlebnis der Antworten auf die Fragen, vor denen das Denken und Forschen in die Knie gehen muss, das Alpha und das Omega, das Woher und Wohin, das Aufgehoben-Sein und das Nicht-Gegenüberstehen.