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Ego: Ideale

Die Frage der Moral ist die Frage nach Gut und Böse. Ähnlich, aber von allgemeinerer Natur ist die Frage nach Sein und Sollen, ob also etwas so ist wie es sein soll.

Was ist, wird in einer Serie von Unterscheidungen bestimmt, und auch was sein soll. Und es wird der Zustand, der sein soll, dem Zustand, der ist, gegenübergestellt. Deshalb gehören beide Zustände zum Bereich des Ego, und FreudSigmund Freud (1923): Das Ich und das Es. In: GW, Studienausgabe, Bd.3. Frankfurt: Fischer, 2000. hat in seiner Zweiten Topik die Forderungen des Idealzustandes an den Realzustand als 'Über-Ich' bezeichnet.

Das Ego unterscheidet. In einem zweiten Schritt bewertet es die Pole der Unterscheidung. Drittens bevorzugt es dann einen Pol vor dem anderen. Und schließlich möchte es das so Vorgezogene realisieren.

Die Idealisierung und damit auch die meisten unserer zielgerichteten Handlungen, folgen aus dieser Bevorzugung.

In der alltäglichen Auseinandersetzung unseres Ego mit der Welt entsteht aus der Gegenüberstellung eines Real- und eines Idealzustandes ein Problem: Der Realzustand wird oft in irgendeiner Weise als ungenügend empfunden, und eine Vorstellung des 'Besseren', ein Ideal, existiert damit ebenfalls. Für das Problem wird eine Lösung gesucht. Sie kann darin bestehen, durch Handeln den Idealzustand zum Realzustand oder aber durch Neubewerten den Realzustand zum Idealzustand zu machen. Das gelingt immer nur für kurze Zeit, denn das Ego ist darauf angewiesen zu unterscheiden und wird schon bald wieder damit beginnen, etwas 'noch Besseres' vorzustellen. (Deshalb sind auch alle Utopien vorläufig, und das Schlaraffenland ist nur für den Hungrigen ideal; sobald er satt ist, wird es zur Hölle). Die Imperfektion ist die notwendige Folge des Unterscheidens; und sie gibt uns etwas zu tun. Das Paradies, wo die Dinge perfekt sind, existiert nur noch in kleinen Ausschnitten, etwa der quasi 'zeitlosen' Perfektion der Musik oder der Mathematik, oder in bestimmten Momenten innigen Erlebens.

In Gestalt des Über-Ich stellt das Ego auch sich selbst eine Vorstellung vom 'Besseren' gegenüber. Sie ist ursprünglich vermittelt durch den Vergleich mit (und also der Unterscheidung von) anderen. Auch Anforderungen der Gemeinschaft hinsichtlich Moral, Anstand und 'richtigem' Verhalten spielen eine Rolle. Manche lösen das so entstehende Problem des Selbstbildes, indem sie ihren Realzustand zum Ideal machen ("Wenn es alle so machten wie ich, dann wäre alles OK") oder, in den meisten Fällen, indem sie den Idealzustand zum Realzustand machen wollen ("Wenn ich anders und besser wäre, dann wäre alles OK").

Viele Religionen unterstützen diese letztere 'moralische' Haltung und versuchen, das Ego durch das Über-Ich in Schach zu halten. Wie aber aus dem eingangs Gesagten schon deutlich wird, funktioniert das nicht, weil das Über-Ich dem Ego zugehört. Was dabei herauskommt, ist ein hartes und in vielen Fällen bigottes Ego. Pascal schrieb in seinen PenséesBlaise Pascal (1670): Pensées, No. 358: Der Mensch ist weder Engel noch Tier. Und das Unglück will es, dass, wer der Engel sein will, das Tier wird.:

L'homme n'est ni ange ni bête, et le malheur veut que qui veut faire l'ange fait la bête.

In der Kontemplation und der spirituellen Praxis werden wir angeleitet, die oben beschriebene Bevorzugung zu beobachten. Wir können sie nicht abstellen, weil wir unser Ego nicht abstellen können. Aber wir können durch die Beobachtung ihre bestimmende Macht einschränken. (Die Bewegung der Kontemplation ist die Umfassung, die des Ego die Ausgrenzung.)

Es nützt also nichts, zu sagen: 'Ich darf keine Über-Ich-AttackenEin Begriff, der aus der Arbeit von Hunter Beaumont und Gila Rogers stammt. haben'. Dann hätte ich nämlich schon wieder vorgezogen. Vielmehr beobachte ich sie: 'Jetzt gerade hab ich eine'. Und lasse sie vorübergehen.

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